50. 🔪 Adolescence vs. feministischer Krimi | mit Susanne Kaiser

Über Riot Girl

11.09.2025 55 min

Zusammenfassung & Show Notes

Was unterscheidet den patriarchalen Krimi vom feministischen Krimi?

📢 Feministischer Podcast über Patriarchat & Popkultur
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🕵️‍♀️ Was macht einen feministsichen Krimi aus?
Die neue Netflix-Serie Adolescence (2025) erzählt von einem 13-jährigen Jungen, der sich in der Manosphere radikalisiert. Doch was die Serie auslässt, ist das Offensichtlichste: das Patriarchat.
Statt kritisch hinzusehen, reproduzieren die Serienmacher selbst sexistische Erzählmuster: männliche Ermittler, Male Gaze, Täterperspektive, Victim-Blaming. Der mediale Hype ist für mich Anlass, über feministische Krimiliteratur zu sprechen.

🎙️ Zu Gast: Susanne Kaiser
Nach ihren großartigen Sachbüchern Politische Männlichkeit (2020) und Backlash – die neue Gewalt gegen Frauen (2023) hat die Journalistin und Autorin Susanne Kaiser ihren ersten feministischen Krimi Riot Girl – veröffentlicht. Mit ihr spreche ich über Gewalt als Widerstand, über Aktivismus auf Social Media und darüber, was das Genre Krimi im Feminismus leisten kann. 

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Cover: Danke an Scarlett Nimz
Musik: Heyohmann!
Danke an den Rowohltverlag für das Rezenszionsexemplar von Riot Girl

Transkript

Susi
00:00:00
Ermittelt die Täter, smash the Patriarchy. Hier haben wir einen Krimi, wo wir die Tat gar nicht kennen. Das Patriarchat kannst du halt schlecht vor Gericht stellen.
Susanne Kaiser
00:00:08
Das ist immer dieser Fokus auf die Täter. Was geht in den vor? Es ist rauf und runter erzählt und eigentlich ist es null spannend. Also Männer wachsen halt gewaltbereit auf, werden so sozialisiert und Frauen nicht. Letztlich ist es so simpel.
Susi
00:00:21
So dieser Mythos vom bösen Wolf, der macht uns eben zum Rotkäppchen, infantilisiert uns, diese Rolle einfach abzustreifen.
Susanne Kaiser
00:00:30
Also Feminismus bleibt, müssen wir jetzt leider sagen, in der Situation,
Music
00:00:32
Music
Susanne Kaiser
00:00:34
In der wir uns jetzt heute hier befinden, zahnlos.
Susi
00:00:41
Bei Verbittert Talentlos ist heute die Susanne-Quote bei 100 Prozent, denn die Journalistin, Sachbuch- und Krimiautorin Susanne Kaiser ist heute zu Gast. Hallo meine Liebe, ich freue mich sehr auf das Gespräch mit dir heute.
Susanne Kaiser
00:00:58
Hey, ich freue mich auch.
Susi
00:01:00
Ja, mit Susanne habe ich bereits in Folge 40 über Tradwives und andere Patriarchatskomplizinnen gesprochen. Hört es doch nochmal nach, ist in den Shownotes nochmal verlinkt. Und damals hattest du ja auch schon angekündigt, dass du an einer Krimireihe schreibst. Im Frühjahr 25 ist dann Riot Girl erschienen. Ich habe es natürlich sofort verschlungen, mich in Obalski, die Ermittlerin, verliebt. Über sie müssen wir unbedingt dann später auch nochmal sprechen. Aber das Hauptthema soll heute sein, was einen feministischen Krimi eigentlich ausmacht und was ihn von, ich sag mal, Krimi als Männerfantasie unterscheidet. Und es passt ganz gut zu der Serie Adolescence. Ich muss da einfach nochmal nachtreten. Diese Serie war ja der Hype des Jahres. Eine Krimiserie, die alle Streaming-Rekorde gebrochen hat. Sehr viel besprochen, auch in der Politik. Dann plötzlich Debatten ausgelöst. Ich gebe mal kurz einen kleinen Recap für alle, die es vielleicht nicht geguckt haben. Es geht um den 13-jährigen Jamie, der in die INCEL-kultur abdriftet, dann sich in der Manosphere auf TikTok offenbar radikalisiert und schließlich eine Mitschülerin brutal ermordet. Und das Besondere an dieser Serie ist, ist kein klassisches Whodunit. Wir wissen bereits in der ersten Folge, dass Jamie die Tat begangen hat. Und wir haben jetzt natürlich einen Täter, der kein Monster ist, kein Psychopath. Ja, es ist ein Kind eigentlich noch. Und die Serie fragt nach dem Motiv, wie konnte es dazu kommen? Und natürlich spielt die Serie auch ein bisschen mit dieser Opfertäter-Dynamik. Bei mir hat die Serie vor allem Langeweile und Empörung ausgelöst. Ich hatte das Gefühl, dass worüber viele Feministinnen und ja auch du mit deinen Sachbüchern Backlash und politische Männlichkeit schon viele Jahre Aufklärungsarbeit geleistet haben zum Thema Misogynie, toxische Männlichkeit, strukturelle Gewalt. Das kommt in der Serie gar nicht vor. Das wird gar nicht berücksichtigt. Und deswegen möchte ich erstmal deine Meinung wissen. Also wie hast du die Serie wahrgenommen und wie ging es dir beim Gucken?
Susanne Kaiser
00:03:10
Also ich fange vielleicht mal mit dem Positiven an. Ich fand die Serie schon irgendwie gut gemacht. Die zieht sofort rein. Die fängt mit einem Kind, wie du gesagt hast, an, das sich am Anfang auch in die Hosen macht. Das heißt, man hat sofort sowas ganz, ganz Menschliches, ganz Kindliches. Und dann wird so Schritt für Schritt das Monströse an der Sache rauszieseliert. Und das fand ich einen guten Ansatz. Ich fand das Lachen der Täter auch gut dargestellt, wie Klaus Teweleit das auch geschrieben hat. Dieses, dass wenn über Männer gelacht wird oder über Jungs gelacht wird, dass das etwas ist, womit sie so wenig klarkommen, dass sie dann halt gewalttätig werden. Das hat Margaret Atwood ja auch gesagt. Männer haben Angst, dass Frauen über sie lachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen. Und das ist total das Thema dieser Serie. Und überhaupt mal diese INCEL-Szene darzustellen und das irgendwie in einem breiten Publikum näher zu bringen, finde ich auch eine gute Sache. Also es ist ein gutes Anliegen. Der britische Premier Keir Starmer hat ja danach auch gesagt, diese Serie müsste an allen Schulen gezeigt werden. Und da, finde ich, liegt das große Problem und ein riesen Missverständnis. Denn die Kids, die wissen natürlich, was bei TikTok abgeht. Und die meisten kennen einfach die INCEL-Szene. Die meisten, vor allem männlichen Kinder, kennen auch Andrew Tate und das ist einfach ein riesen Missverständnis. Also wir haben damit wenig Berührungspunkte und wir haben keine Ahnung, was unsere Kids eigentlich bei TikTok treiben, wie sie da radikalisiert werden und so. Das ist das eine. Das andere ist, dass ich finde, dass diese Radikalisierung ein bisschen einfach dargestellt wird. Also wir haben eine Szene, wo der jugendliche Sohn des Kommissars seinem Vater erklärt, voll peinlich, Papa, du kennst dich hier gar nicht aus. Und dann erklärt er so ein paar Emojis, also erklärt ihm die Codes quasi, mit denen gesprochen wird. Und letztlich bleibt es aber dabei. Das ist die ganze Incel-Szene und das ist die ganze Radikalisierung und keine Ahnung was. Und das ist echt sehr, sehr, sehr verkürzt dargestellt. Also es ist einfach ein bisschen längerer Prozess und auch ein bisschen komplexer als so ein paar Emojis. Und das ist das große Problem, dass vor allem, also so hat es halt was von Victim-Blaming. Das Mädchen aus der Klasse hat den Jungen gemobbt, hat ihn INCEL genannt, ihn damit überhaupt erst gelabelt und stigmatisiert. Darauf wird der Radikalisierungsprozess reduziert und deshalb hat er sie dann umgebracht. Also ein bisschen ist es so selbst schuld. Und das bleibt bei diesem Selbstschuld, einfach weil wir die Perspektive von ihr und ihrer Familie und was das angerichtet hat, was ein Mord überhaupt heißt, vor allem in dem Alter, das ist eine Leerstelle. Und das ist ja das Riesenproblem generell bei Crime-Dingen und auch wenn es um ganz reelle Gewalt gegen Frauen, also tatsächliche in der realen Welt geht. Das Leid der Betroffenen, was die durchmachen, das bleibt ganz oft halt eine Leerstelle und es ist immer dieser Fokus auf die Täter. Wir wollen die Täter verstehen. Was geht in denen vor? Das ist so spannend. Und es ist rauf und runter erzählt und eigentlich ist es null spannend. Also Männer wachsen halt gewaltbereit auf, werden so sozialisiert und Frauen nicht. Letztlich ist es so simpel. Und deshalb finde ich das überhaupt keinen spannenden Ansatz. Und wenn eine Serie sich dann so wenig Mühe gibt zu verstehen, was da wirklich in dem Täter abgegangen ist, das wissen wir ja bis zum Ende nicht. Wir haben keine Ahnung. Wir sehen nur, okay, offenbar steckt da ein kleines Monster an diesem süßen Kind. Und dabei bleibt es. Wir wissen nicht, was passiert ist. Und das ist sehr unbefriedigend. Zumal ja auch die Rolle der Eltern zum Beispiel, da spielt die Mutter auch einfach nur so eine Statistinnenrolle, damit der irgendwie eine Mutter hat. Aber eigentlich geht es um die Beziehung zum Vater und das ist so wichtig und der ist so da. Und auch da, es bleibt eine riesen Leerstelle, was ist da überhaupt passiert. Also gibt da eine ganze Menge Kritik an der Serie. Aber ihr Verdienst ist, dass sie für dieses Thema überhaupt mal sensibilisiert hat.
Susi
00:06:55
Ja, ich war ein bisschen beleidigt und ein bisschen eingeschnappt, weil für mich hatte die Serie jetzt nichts Neues erzählt. Viele Eltern scheinen aufgewacht zu sein und plötzlich bemerkt zu haben, dass es auf TikTok toxische Inhalte gibt. Es gibt ja nicht nur die Manusphäre mit ihren Frauenhass. Es gibt dann auf der anderen Seite genauso Skinny Talk oder eben die AfD, die sich dort breit macht und die jungen Leute für die neue Rechte mobilisiert und so weiter. Also scheinbar ist es erstmal eine Serie, die vielen Leuten gezeigt hat. Hupala, da habe ich wohl nicht richtig aufgepasst. Genau wie die Eltern von Jamie. Das war ja dann auch am Ende so das Fazit. Wann ist denn das passiert, dass der da so viel am Computer hing? Hups, insofern war das für mich jetzt alles nicht so bahnbrechend und auf der anderen Seite hat es mich so geärgert, weil ich ja auch schon seit Jahren diese Literatur lese eben auch zur toxischen Männlichkeit oder auch verstehen will, was müssen wir denn tun, feministische Mütter von Söhnen und so weiter, ja, und ich immer wieder auf diesen Punkt komme. Also wir müssen auf jeden Fall diese Gender-Stereotype aufbrechen an uns und an dem, wie wir unsere Kinder behandeln und wenn dann so eine Serie daherkommt und alle haben plötzlich das Gefühl, wow, wow, wow, wir haben jetzt hier was über Frauenfeindlichkeit verstanden. Dann denke ich mir, und wieder war es eine Männerserie und wieder bleiben die Bücher von den Feministinnen im Regal. Und wieder wird die ganze Arbeit von Flinter, weißt du, so marginalisiert auf eine Art, die jetzt konkurriert mit einer riesen High-Glossy-Netflix-Produktion. So jetzt könnte man auch sagen, ist jetzt vielleicht ein kleiner Charakterfehler von mir, dass ich mich jetzt nicht freuen kann für die Sache. Aber ich frage mich schon, hat die Serie vielleicht da nicht auch dem Feminismus so einen Bärendienst erwiesen?
Susanne Kaiser
00:08:45
Ich glaube, beides hat sie sicherlich, weil sie eben diese Defizite hat und weil sie es ja auch von männlichen Produzenten gemacht hat, Regisseur und so weiter, alles Männer, Idee und Konzept wahrscheinlich auch. Insofern, natürlich hat das was von einem Bärendienst, aber auf der anderen Seite hat die Serie ein Problembewusstsein für Menschen geschaffen, die sonst eben nicht so viel damit zu tun haben, dass da so sehr starke Spannungen vielleicht auf Kinder entlasten durch soziale Medien. Das ist eben nicht die normale Pubertät, wie wir es schon immer kennen und Schönheitsdruck und keine Ahnung, Anpassungsdruck und so weiter, Rebellion, sondern da kommt schon ein bisschen mehr zusammen. Das hat ja einen Grund, warum dieser 12- oder 13-Jährige schon so früh so eine krasse Anspruchshaltung und so ein krasses Verständnis auch von Sex hat, weil der natürlich total sexualisiert ist, weil der wahrscheinlich seit der 10 ist, das zeigen die Studien, mit Pornografie, die nicht einvernehmlichen Sex zeigt, sondern immer die Demütigung und Unterwerfung von Frauen. Also seit dem frühen Alter wird er damit konfrontiert sein und er hat nicht danach gesucht, sondern es kommt zu ihm. Und irgendwann hat er vielleicht auch danach gesucht. Das heißt, wir haben eine totale Sexualisierung von Kids, eine Normalisierung auch von Gewalt, sexualisierter Gewalt gegen Frauen und dann eben gleichzeitig diesen Anspruch, ich müsste ja auch diese Form von Sex haben, wird mir verweigert von meiner Mitschülerin in der siebten Klasse oder in welcher Klassenstufe die da waren. Also es ist ja wirklich total früh alles. Und dann mobbt sie mich auch noch also und dann ist das und das die Konsequenz. Und ich finde dafür, für diesen Mechanismus, den wir einfach gerade in sehr vielen Menschenrechtssphären sehen, was soziale Medien generell anrichten, wenn sie nicht reguliert sind, sondern eben einfach frei unter dem Banner der Meinungsfreiheit. Und das ist alles andere als Meinungsfreiheit. Ja, das ist alles andere als ein demokratisches, offenes System, sondern es ist eine Radikalisierungsmaschine. Und das mal so langsam zu erkennen und dahin zu kommen, ist mir das viel wichtigere Anliegen.
Susi
00:10:44
Mich regt das auch auf das, was du meintest, dass wir auch wieder komplett männliches Personal, männliche Besetzung, du hast schon gesagt, die Mutter wird marginalisiert. Es gab übrigens einen ganz schönen Guardian-Artikel, ich habe das gefunden bei Jo Lücke auf Insta, die hat auch einen sehr, sehr tollen Kommentar abgegeben, verlinke ich euch auch nochmal, weil an dieser Stelle wirklich Props auch an sie. Und sie hat einen Artikel recherchiert im Guardian, wo Jack Thorne, der Drehbuchautor, berichtet hat, dass sie eine Konstellation im Kopf hatten, dass mal einen ganz jungen Täter, so ein Kind, sie hatten diesen Täter und der bringt halt irgendwie ein junges Mädchen um und jetzt, ha, jetzt brauchen sie aber noch ein Motiv. Hat der dann einfach so freigiebig da erzählt. Uns ist einfach kein Motiv eingefallen, sagte er. Und dann gab es irgendeine Assistentin, Sekretärin, die da irgendwie durchs Büro ging und sagte, guckt euch doch mal die INCEL-Culture an. Was da abgeht, ist krass. So, dann sind die da ins Rabbit Hole und haben gedacht, geil, genau so machen wir das. Das heißt, es ging ja gar nicht, wenn man das Interview jetzt mal belastet, ging es ja gar nicht um diesen Anspruch, wir klären hier auf und das ist alles schlimm, sondern erst mal ging es wirklich darum, nur einen sehr, sehr krassen Effekt zu erzielen, eben mit diesem jungen Täter. Und was ich aber gesehen habe, was ich jetzt so ein bisschen als aus Versehen den beiden unterstellen würde, wäre eben dieser Vater, der eine enorme Scham hat, seinen Sohn zu berühren, liebevoll mit seinem Sohn zu sein. Da gibt es so eine ganz komische Distanz. Er will ihn beschützen, aber wirklich kümmern hat er sich nicht und tut er nicht. Er ist eigentlich ein abwesender Vater. Es wird erzählt, dass er viel arbeitet. Er hat da sein Klempner-Unternehmen. Er ist sehr aufbrausend. Man kann jetzt sagen, auch eine Form von Gewalt. Also er schlägt jetzt da niemanden oder so, aber dieses Verhalten, was er hat, macht alle anderen in der Familie zu Puppen. Also die reagieren immer so auf ihn. Du siehst die Mutter, die versucht immer so abzuschätzen, wie ist er jetzt drauf. Die hat eigentlich Angst. Die weiß, dass der austicken kann. Der ist nicht sprechfähig, er hat keine Gefühlssprache. Er ist total repräsentativ eben genau für dieses Problem an toxischer Männlichkeit, die er auch erfahren hat, die er an seinen Sohn weitergibt. Und da sehe ich das eigentliche Problem. Da wäre für mich ein großes Potenzial in der Serie gewesen. Vielleicht sogar da, wo die Serie aufhört, hätte sie anfangen können. Die Eltern fragen sich am Ende, was haben wir falsch gemacht? Glaubst du, das könnte sich subversiv da irgendwie durchdrücken? Oder meinst du, das ist jetzt nur was, was Hardcore-Feministinnen, die sich schon viel mit Gender beschäftigt haben, dann erkennen können?
Susanne Kaiser
00:13:24
Also ich finde, es ist fast ein bisschen egal, ob absichtlich oder nicht, weil es ist schon eine relativ realistische Darstellung, glaube ich, von dieser Generation Väter, die auch in so einem krassen Spannungsfeld irgendwie zwischen Bemühen und irgendwie aber in der Unfähigkeit, sozialer Inkompetenz ja auch, schlechter Zugang zu eigenen Gefühlen, Emotionalität und so weiter, irgendwie Bindungsschwierigkeiten und ja auch keine Verantwortlichkeit bis in letzte Konsequenz, Sondern eben, wie du sagst, immer so ein Zentrum sein, um das alle anderen Planeten kreisen müssen. Und das so darzustellen, wie gesagt, egal ob absichtlich oder nicht, finde ich schon eine gute Sache. Weil ich glaube, man erkennt schon, da braucht man gar keinen feministischen Blick für, dass der Vater sich irgendwie Mühe gibt, aber dass es irgendwie auch nicht reicht. Also ich kann mir vorstellen, dass man da so ein bisschen so doch vielleicht einen kleinen Aha-Effekt oder sowas hat und sich vielleicht doch Gedanken über die eigene Position in der Welt, über die eigene Rolle in der Welt, über die Beziehung zu den Kindern macht und sich fragt, was ist da für Sorge, wie fürsorglich kann ich sein und wie sehr verlange ich von anderen Personen, dass sie um mich herum kreisen. Und auch da, das ist auch wieder sowas, also ich finde, man muss da sehr aufpassen, dass man andere, erwachsene Personen auch nicht zu Opfern von Konstellationen macht. Weil auch die Mutter hat natürlich bestimmt, ich finde auch, sie ist so dargestellt, als hätte sie immer ein bisschen Angst vor der Explosion und so ein Eiertanz für sie. Aber auch sie könnte anders auftreten. Das ist ihre Entscheidung, finde ich. Auch wenn sie da in einem bestimmten Gefüge ist und es garantiert Abhängigkeiten und so gibt. Aber ich würde so ein bisschen weg von diesem alle sind Opfer von diesem Sonnensystem irgendwie. Weil so ist ja auch ein bisschen einfach gedacht.
Susi
00:15:09
Ja, ich hoffe halt einfach, dass wenn die Serie einen positiven Effekt hat, dass sie eben auch dazu führt, dass Leute jetzt nicht nur sagen, ja cool, die Serie habe ich jetzt geglort, sondern dann sollen sie sich jetzt bitte auch mal politische Männlichkeit durchlesen. Aber gut, in dieser Babel muss ich das ja Nicht sagen, du hast gerade schon gesagt Social Media als Radikalisierungsmaschine und ich würde das gerne jetzt als Brücke auch zu Riot Girl nehmen, denn auch in Riot Girl in deinem Krimi haben wir Social Media als, ja, ich würde sagen, können wir es als Radikalisierungsmaschine nennen. Das wäre jetzt so ein bisschen die Frage, weil hier ist es so eine Mischung aus Aktivismus und Radikalisierung. Und wir haben eben auch sehr junge Protagonistinnen, sprich Teenager. Auch hier ist nicht so ganz klar, wer hier eigentlich Opfer und wer hier Täter ist. Aber bevor wir reingehen in Riot Girl, möchte ich euch gern noch meinen Newsletter empfehlen. Auf Steady bekommt ihr einmal im Monat meine feministischen Empfehlungen von Serien, Dokus, Büchern, YouTube-Essays, Podcasts und so weiter. Könnt ihr gerne kostenlos lesen oder abonnieren. Den Link findet ihr natürlich in den Shownotes. Und außerdem noch eine Bitte. Dieser Podcast ist ein Indie-Podcast. Das ist, ich würde sagen, meine Form des feministischen Aktivismus. Ich habe da sehr viel Freude dran und lerne hier tolle Leute kennen, aber ich habe eben auch Aufwände und Kosten. Ich mache alles alleine, von der Recherche bis zum Schnitt, die Distribution. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mich mit einer bezahlten Mitgliedschaft unterstützt. Auf Steady könnt ihr einen Beitrag auswählen, angefangen bei drei Euro. Jeder Euro hilft, dass es hier mit Verbittert talentlos weitergeht. Den Link findet ihr wie immer in den Shownotes und an alle meine Unterstützerinnen, die schon da sind. Das ist eine riesige Wertschätzung für mich und auch eine Form der Solidarisierung für die feministische Sache. Vielen Dank. So, jetzt gehen wir mal rein. Wir können ja jetzt gar nicht so viel spoilern bei deinem Krimi, weil natürlich sollt ihr das alle lesen. Aber wir können so viel verraten. Obalski kommt aus Berlin nach München. Sie ist die Ermittlerin. Das ist mir natürlich schon hochsympathisch. Und sie kommt an einen Fall, wo sie bemerkt, dass eine Gruppe von Girls, die sogenannten Influencers, ja so ein bisschen Trouble machen im Internet. Leute mobilisieren und dann gibt es sogenannte Challenges. Hashtag Quake Challenge, Hashtag Isar Challenge und am Ende gibt es dann auch noch eine recht tödliche Challenge. Ich würde dich gerne mal zu dieser Form der Radikalisierung, nenne ich es jetzt mal, befragen. Wo ist für dich da eigentlich der Unterschied oder die Grenze, wenn du sagst, du bist ja auch sehr kritisch gegenüber Social Media? Hier bei Adolescence haben wir die Menos 4. Bei Riot Girl haben wir ein Influencer-Kollektiv, die zu Aktivismus aufruft. Können wir das eigentlich so trennen und sagen, das eine ist jetzt Aktivismus, das andere ist Gewalt, das eine ist Community-Building, das andere ist gesellschaftliche Spaltung? Oder wie kann ich das lesen?
Susanne Kaiser
00:18:15
Erstmal sind soziale Medien und besonders TikTok ja vor allem ein Medium. Das heißt, was immer da passiert, könnte man erstmal sagen, dafür kann das Medium nichts. Das sind die Intentionen von den Personen, die da in bestimmten Dynamiken, vielleicht auch mit einer Schwarmintelligenz, Dinge tun. Und wir sehen ja auch tatsächlich, dass die sozialen Medien... Von allen möglichen AkteurInnen unterschiedlich genutzt werden. Also auch die MeToo-Bewegungen zum Beispiel wäre nicht möglich gewesen ohne soziale Medien. Oder der ganze, wie der Feminismus in den letzten 10, 15, 20 Jahren verlaufen ist, ist schon auch dank des Internets einfach, weil sich Frauen da anders organisieren konnten, weil sie plötzlich verstanden haben, wir sind keine Einzelfälle, sondern es gibt strukturelle Ursachen für die Dinge, die uns passieren und so weiter. Das heißt, es hat ganz viel auch Sichtbarkeit, Erfolg und so weiter von Frauen ermöglicht. und aber eben genauso auch für die Manosphäre oder Frauenhassende, Gleichgesinnte, die sich da zusammentun oder Autoritäre oder wen auch immer, genauso Raum geboten. Jetzt kommt aber bei TikTok hinzu und eben auch bei allen anderen sozialen Medien, dass es einen Algorithmus gibt, der entscheidet, was wird nach oben gespült, was soll mehr Reichweite bekommen. Und der ist programmiert und zwar nicht mit einem demokratischen Konzept, sondern von irgendwelchen Tech-Milliardären im Silicon Valley, beziehungsweise im Fall von TikTok ByteDance in China, genauso autoritär wie die Silicon Valley Bros. Und das ist das große Problem, da kommt die Radikalisierung rein. Während aber, was die Manosphäre angeht, die ja früher mal Darknet-mäßig sich aufgebaut hat, aber voll in TikTok reingeschwappt ist, das ist eine Radikalisierung, die Kids in ein Rabbit Hole reinzieht. Das heißt, nach ganz wenigen Klicks tendiert der Algorithmus von sich aus sozusagen schon in diese Richtung. Und da werden Kinder also passiv radikalisiert. Was ich jetzt aber zeigen wollte in Riot Girl ist was anderes. Das ist, wie junge Frauen, Mädchen durch gesellschaftliche Mechanismen sich radikalisieren. Die radikalisieren sich, natürlich, weil sie auch Betroffene in bestimmten Situationen sind. Aber es gibt einfach eine bestimmte Form der Gewalt gegen sie, wie alle Mädchen oder fast alle Mädchen sie irgendwann in ihrem Leben erleben. Also eine Form der patriarchalen Gewalt. Und das macht sie noch nicht radikal, aber da wird sozusagen das Korn gesät. Was sie dann radikal werden lässt, ist, dass sie kein Gehör damit finden, dass es einfach ignoriert wird, genau wie es in unserer Gesellschaft ja auch ist. Und sie dann TikTok nutzen und auch wissen, wie man einen Algorithmus manipuliert beispielsweise, um ihn für sich arbeiten zu lassen, um sich dieses Gehör zu verschaffen und um Reichweite zu bekommen. Und sie arbeiten da vor allem mit Social Contagion, deshalb heißen sie auch Influencers, wo ja auch die Grippe ein bisschen drin steckt. Das heißt, die sind da ganz aktiv in ihrer Rolle und die versuchen ganz aktiv, andere zu überzeugen und mitzunehmen und in diese Challenges reinzuziehen. Und auch die anderen, die dann da mitmachen, die machen nicht mit, weil sie gerade keine anderen Inhalte zu sehen bekommen, weil ihr Algorithmus so eingestellt ist auf radikale Inhalte, sondern weil sie selber ja einen bestimmten Leidensdruck haben und aus einer bestimmten Situation herauskommen und was ändern wollen. Also die gehen da schon rein mit einer ganz anderen Intention als einfach so Doomscrolling-Kids, die TikTok zur Unterhaltung nutzen und dann eben in solche Kanäle geraten.
Susi
00:21:34
Ich will gleich nochmal mit dir über Gewalt versus Widerstand sprechen, aber das Schöne an den Influencers war, ich hatte beim Lesen erstmal so eine Ventilfunktion gespürt. Also diese Influencers, die mischen da erstmal die Münchner Polizei so ein bisschen auf, weil zum einen hat die Polizei keine Ahnung von TikTok, dann sind das irgendwie Girlies und dann sind die auch noch auf einer Plattform, wo die irgendwie überhaupt keine Power haben, so die Polizei. Und dann muss ich aber auch sagen, es war für mich so wie so eine Fantasie, die ich da ausleben konnte, was wäre, wenn es sowas gäbe und wie cool wäre das und alle sind so ein bisschen irgendwie nervös und es war so ein Anonymous-Vibe, also weil ja auch keiner wusste in diesem Schwarm, wer da wirklich dahinter steckt und so. Und dann fand ich eben die Challenges einerseits harmlos genug, dass man jetzt sagen würde, ja, ist ja jetzt niemand zu Schaden gekommen, außer einen Typ, der dann tot in der Isar gefunden wird. Aber irgendwie machen diese Influencers dann alle so ziemlich nervös. Und das andere, was du sehr geschickt gemacht hast, ist, es geht hier so um so eine kleine Erpressung. Die Influencers, die wollen ja was. Also es geht dann darum, ermittelt die Täter, smash the patriarchy, ist glaube ich die Aussage. Und hier haben wir einen Krimi, wo wir die Tat gar nicht kennen. Also sie ermittelt die Täter und Obalski hat jetzt das Problem, dass sie jetzt denkt, ja würde ich jetzt gerne machen, aber das Patriarchat kannst du halt schlecht vor Gericht stellen. Und das fand ich sehr, sehr unterhaltsam auf der einen Seite. Und jetzt aber nochmal so zum Thema Widerstand versus Protest. Ich habe das Gefühl, ich darf die nicht so gut finden. Weißt du, was ich meine? Ich habe das Gefühl, ist es nicht auch eine Form von Gewalt? Ist es jetzt hier wirklich friedlicher Protest oder ist es eigentlich schon ziemlich No-Go-mäßig?
Susanne Kaiser
00:23:25
Das bleibt ambivalent. Verdammt. Und das ist ja auch ambivalent. Ja, das ist halt die Sache generell mit dem Feminismus. Der hat unglaublich viel erreicht mit total friedlichen Mitteln, kein Krieg angezettelt und so weiter. Eben gewaltfreier Widerstand und so. Aber ja, eben auch nicht richtig. Das ist die Sache. Also Feminismus bleibt, müssen wir jetzt leider sagen, in der Situation, in der wir uns jetzt heute hier befinden, zahnlos. Wir haben jetzt einen krassen Backlash. Faschismus kommt wieder, Autoritäre wollen sämtliche Frauenrechte zurückdrehen und von anderen politischen Minderheiten genauso. In der Situation sind wir jetzt. Die ganzen Proteste in den USA konnten Trump nicht verhindern. Das ist die Situation. Da ist schon die Frage, wie weit darf so eine Form der Rebellion gehen? Und mir lag daran, eine weiblich konnotierte Form des Widerstands zu zeigen, eben nicht den männlichen Wahnsinn einfach zu reproduzieren und jetzt, weiß ich nicht, normale Terroranschläge oder so zu begehen, sondern eben eine weibliche Form da zu finden. Also weiblich in Anführungszeichen natürlich, die ist ja nicht essentiell weiblich, aber mit Tanzen, irgendwas mit Taylor Swift. Mit irgendwie einer Form von Anschlägen, die man erst mal, so wie Frauen eben auch, nicht ernst nehmen würde. Und wo sich dann aber zeigt, ups, okay, das haben wir ein bisschen falsch eingeschätzt. Es entwickelt jetzt mit der Masse und mit der Solidarität der Teilnehmerinnen untereinander doch eine ganz schöne Wirkmacht. Und diese Wirkmacht, da ist ein bisschen Gewalt dabei. Und da muss auch Gewalt dabei sein, sonst wirkt es nicht. Also es geht trotzdem um Radikalisierung. Die radikalisieren sich und die sind auch ein bisschen verzweifelt. Also es kommt ja aus einer Situation heraus, wo sie einfach wirklich keine anderen Mittel mehr wissen. Und gerade auch die letzte Challenge, das ist was, was sehr, sehr ambivalent ist, wo aber vielleicht auch das Potenzial, was sowas wie TikTok hat, eben doch nochmal vielleicht ein bisschen deutlicher wird. Da hätten dann plötzlich junge Leute, junge weibliche Menschen, das sind ja die, die am allerwenigsten Gehör in unserer Gesellschaft finden. Jetzt fehlen nur noch so Merkmale wie migrantisch, queer, keine Ahnung, mit Behinderung. Aber Jugendliche generell, es müsste auch in der Corona-Pandemie-Zeit ziemlich deutlich geworden sein, die haben nichts zu melden. Wir sind einfach eine total alte Gesellschaft, Altersdurchschnitt 45 oder wahrscheinlich schon älter inzwischen. Die Politik wird von alten Menschen gemacht und das geht völlig, da geht es viel um Renten und solche Dinge, Aber es geht ganz wenig um Bildung, um junge Menschen, um wie können wir denen Gehör verschaffen. Das heißt, das ist auch gar nicht so utopisch oder dystopisch, was ich da beschreibe, sondern es ist die sehr, sehr nahe Zukunft.
Susi
00:25:58
Vor allen Dingen, finde ich, adressiert es eben genau diese Frage, weil du jetzt auch gerade ein bisschen gestruggelt hast mit männlicher Gewalt, weiblichem Widerstand, Aktivismus. Wenn wir über Wehrhaftigkeit und Widerstand und Resilienz reden, dann haben wir eben die Panzer und die Soldaten und diese männliche Konnotation davon im Blick. Wenn wir sagen, das lehnen wir ab, sondern wir suchen jetzt eine feministische, nennen wir es mal so, Form des Widerstands, der Wehrhaftigkeit und auch der Resilienz. Aber was könnte das sein? Also fast wie so eine Art wehrhafter Pazifismus oder sowas, ja? Und das müssen wir irgendwie auch... Verhandeln. Und ich musste auch gerade so daran denken, ich habe ja eine Lesung von dir in Berlin besucht und das Spannende war, das wusste ich vorher nicht so richtig, dass es veranstaltet wurde vom Ariadne Verlag und das wiederum ist ein Verlag für feministische Krimis. Es gab sehr, sehr viele Krimi-Autorinnen aus dem Verlag, die dort im Panel waren und gesprochen haben und ich hatte mir dann zum Beispiel notiert, weil du eben diese Quake-Challenge beschreibst, also eine Erdbeben- Challenge, wo die Influencers einen Erdbeben auslösen, dass es eben auch so stellvertretend für diesen Wunsch steht, dass man sich ein Beben wünscht, wirklich etwas kernerschütterndes und das natürlich auch beängstigend ist auf eine Art und Weise, aber das auch zeigt, wir müssen halt auch schauen, also so eine Bilder zu finden und auch dieses Zusammenhalten. Ich finde, das ist auch was, was sich ein bisschen von der Manosphere unterscheidet, Und obwohl das rechte Netzwerk sehr gut funktioniert. Ist, glaube ich, die Inselkultur sehr stark daran interessiert, Leute noch mehr zu vereinsamen, Leute noch mehr zu isolieren und die feministische Kultur eher daran interessiert, zu solidarisieren, zusammenzukommen, zusammenzuhalten. Das fand ich irgendwie, steckt auch in dieser Quake-Challenge. Es ist nicht nur, hier geht alles kaputt, sondern es geht darum, wir sind so viele, dass wir die Welt zum Beben bringen können. Das fand ich irgendwie sehr, sehr stark. Und das andere war, da hatte eine Autorin gesagt zum Thema Widerstand, wir müssen aufhören mit dem, was wir tun. Sie meinte damit, Gender-Stereotype zu reproduzieren und uns in die Unterwürfigkeit zu begeben. Und das habe ich mir aufgeschrieben, weil ich dachte, naja, aber wo fängt dieses Aufhören an und wo hört es auf? Also wir haben ja gesehen bei Reike Fallwickel und alle so still, dass der Entzug von Fürsorge und Kümmern eigentlich auch eine Form von Gewalt schon fast sein kann. Und die Frage ja auch ist, also an welcher Stelle mache ich denn mit? Also was heißt denn überhaupt mitmachen? Ist jetzt, dass ich ein Kind gekriegt habe, schon mitmachen? Wir sehen vor B-Movement, fängt das Aufhören schon da an? Und wo kommen wir dann an? Kommen wir dann vielleicht an einem sogar lebensfeindlichen Modell raus oder so? Weißt du, was ich meine? Es ist gar nicht so einfach, diese Schwelle zu markieren.
Susanne Kaiser
00:28:54
Ja, die gleichen Probleme haben wir ja auch gerade mit der wehrhaften Demokratie. Wo ist die eigentlich wehrhaft und wie können wir quasi Prinzipien umsetzen, ohne dass wir sie in einen performativen Selbstwiderspruch bringen und dadurch den Prinzip in die Grundlage entziehen. Das ist ja genau das Gleiche eigentlich. Aber die Sache ist, ich bin gar nicht grundsätzlich gegen Gewalt, sondern ich finde, Gewalt ist ein total komplexer Begriff und es gibt ganz viele verschiedene Arten der Gewalt und manche Gewalt ist einfach total notwendig. Ich würde nicht in einer Anarchie leben wollen, weil ich genau weiß, wer dann die Macht hat und wer nicht. Und ich finde zum Beispiel, dass das Minderheitenprinzip in einer Demokratie absolut heilig und unantastbar ist. Und dafür braucht es Gewalt, weil das ist eine Minderheit. Die kann sich nicht selber ständig verteidigen und Gehör verschaffen und um Ressourcen kämpfen und so. Die hat nicht die Möglichkeiten dazu, weil sie eine Minderheit ist. Und das muss ja irgendjemand durchsetzen und dafür haben wir Gewalten. Also die Polizei ist zum Beispiel, die ganze Exekutive ist natürlich eine Gewalt. Und wir haben aber als demokratisches Prinzip eine Gewaltenteilung. Also auch da ist ja schon der Gewaltbegriff drin. Und es geht nicht anders als mit Zwang. Und Zwang ist auch eine Form der Gewalt. Das heißt, ich bin gar nicht grundsätzlich gegen Gewalt. Also ich glaube, so würde das Leben gar nicht funktionieren. Und ich glaube auch nicht, dass der Feminismus oder die Feminismen, da gibt es ja auch ganz unterschiedliche Ansichten, dass er gut daran täte, einfach jede Gewalt zu verurteilen. Aber uns Gedanken zu machen über eine differenzierte Form des Widerstands. Wo setzen wir an? Was machen wir mit? Was legen wir nieder? Also legen wir die Fürsorgearbeit für unsere eigenen Kids nieder zum Beispiel? Wieso sollten wir das tun? Bei Mareike Pfeilwickel ist es irgendwie klar, sie will uns was zeigen. Sie will die unsichtbare Care-Arbeit sichtbar machen. Und das ist ja auch noch ein Problem, dass wir, viele Dinge sind ja noch gar nicht sichtbar. So wie ganz viele Menschen noch nicht von Incels gehört haben, ist vielen Menschen auch nicht klar, dass diese ganze Care-Arbeit unbezahlt von Frauen überhaupt gemacht wird und was mit unserem System wäre, wenn das nicht so wäre, wenn es nicht darauf fußen würde. Auch mit dem Kapitalismus natürlich und mit männlichen Karrieren und so weiter. Und das einmal sichtbar zu machen, finde ich total wichtig. Und da liegt auch das Verdienst der Phobie-Bewegung. Die ist für mich ein Mittel zum Zweck. Die macht einfach sichtbar, dass Frauen wie im Geburtenstreik der zweiten Welle des Feminismus Möglichkeiten haben. Sie haben einen Entscheidungsspielraum und zwar in jeder Lage, zumindest solange wir noch eine Demokratie sind. Wenn wir bei Handmaid's Tale angelangt sind, dann ist es natürlich was anderes, dann ist dieser Spielraum viel, viel kleiner. Aber solange das noch nicht so ist, haben wir einfach einen Spielraum. Wir können persönliche Entscheidungen für uns treffen und wir können solidarisch miteinander sein. Wir können die sozialen Medien nutzen für unsere Anliegen. Natürlich kann etwas dann übertrieben werden oder in die falsche Richtung gehen, irgendwelche radikalen Ausläufer haben oder was auch immer. Aber das Gedankenspiel finde ich erstmal ein wichtiges. Da muss man sich erstmal darauf einlassen. Gerade auch diese Grenze auszutarieren. Was ist noch gewaltfreier Widerstand? Wo geht es in andere Dinge quasi über? Das ist ja erstmal eine interessante Beobachtung quasi oder eben ein interessantes Austarieren.
Susi
00:31:54
Hast du das Gefühl, wir sind da gerade... Irgendwie noch am Anfang oder an so einer neuen Schwelle? Oder hast du noch irgendwie so einen Tipp, wo man da weiter dran rumdenken kann? Weil ich merke, das ist für mich total unbequemes Thema gerade so. Sehr vielschichtig und wo ich gar nicht so viel drüber weiß auch.
Susanne Kaiser
00:32:13
Ich meine, Feminismus ist so krass in Bedrängnis gekommen und andere Themen ja auch, Antirassismus und so. Also wirklich krass und wird ja mit einfach Hardcore-Gewalt bedroht. Das echte Leben ist ja da auch ein ziemlicher Krimi, dass uns ja gar nichts anderes übrig bleibt, als an diesem Gleichheitsgedanken natürlich festzuhalten. Wir sind noch nicht gleich. Das heißt, es ist noch ein weiter Weg dahin. Aber da jetzt nicht aufzugeben, sondern eben zu überlegen, wie können wir das weitermachen? Und ich glaube, dass Solidarität und da eben auch mit anderen Gruppierungen, deshalb ist diese ganze Turf-Debatte zum Beispiel einfach tragisch, wenn sich, weiß ich nicht, der Feminismus und auch andere Gruppierungen oder Israel-Palästina, das ist das andere, was die Linke ja total spaltet. Natürlich muss man streiten, finde ich auch. Aber es ist ja so verbissen inzwischen, dass man sich selber irgendwie die Wirkmacht nimmt, wie so ein selbst auferlegtes Divided Impera. Also man teilt sich einfach selber, damit man von anderen dann irgendwie unterdrückt werden kann. Und das finde ich echt fatal. Und wir sollten das Gegenteil tun. Wir sollten uns solidarisieren mit allen Gruppierungen, die das Gleiche wollen, die eben auch diese Gleichheit wollen, dass man das manchmal anders sieht, dass man unter Gleichheit was anderes versteht, dass es da vielleicht mehrere Wege geben kann und so. Logisch, in einer Demokratie und mit verschiedenen Menschen, die eben vielfältig sind und divers sind. Aber dass wir diesen Weg noch gehen wollen und dafür eben Verbundenheit brauchen und Konzepte brauchen, das ist für mich außer Frage. Und ich sehe aber geradezu wenig, dass an diesen Konzepten, an diesem Positiven auch gearbeitet wird. Ich sehe sehr viel Kritik, ich sehe sehr viel Negatives und sehr viel so Weltuntergangsszenarien. Das tut mir sehr, sehr leid für alle jungen Menschen, die nur mit dieser schwarzen Brille irgendwie aufgewachsen sind. Wie hoffnungslos muss das Leben sein, wenn man noch so ein junger Mensch ist und man sieht irgendwie pessimistische Erwachsene. Wir brauchen einfach nicht immer nur Worst Case, sondern gute Szenarien. Eine gute Welt, die müssen wir uns aber erst mal vorstellen können. Und das sehe ich nicht. Ich sehe nicht, wie Menschen zusammen fantasieren, wie schön und frei und was auch immer könnte unsere Welt sein. Was könnten wir mit Algorithmen zum Beispiel alles machen, mit sozialen Medien? Wow, wenn wir diese gebündelte Kompetenz von Weltwissen, von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Qualitäten, wenn wir da was draus machen würden, was nicht kapitalistisch ist, wo es nicht nur um Ausbeute geht, sondern wirklich was Positives, was Tolles, was Demokratisches. Da steckt so viel Potenzial drin, aber ich sehe keine VisionärInnen, die man gerade mitkriegen würde.
Susi
00:34:40
Ach, jetzt bin ich auch schon wieder in so einer verbitterten Stimmung. Lass uns mal noch weiter am feministischen Krimi rumknabbern. Du hattest ja in der letzten Folge, in der wir gesprochen haben, gesagt, Krimi, das meistgelesene Genre. Deswegen gute, reichweitenstarkes Potenzial, eben dort auch den Feminismus zu platzieren. Und dann habe ich erst gedacht, wow, feministischer Krimi, was könnte denn das sein? Natürlich hast du dich um Flinter Lebensrealitäten bemüht und eben auch eine weibliche am Mittleren. Aber wie war das für dich mit den Krimi? Bist du selber ein Fan, kennst dich super gut mit patriarchalen Krimis aus und konntest dann so ein Gegenmodell entwerfen? Hast du super intuitiv gearbeitet oder hast du dir das angeeignet, diese fünf Punkte muss jetzt ein feministischer Krimi erfüllen?
Susanne Kaiser
00:35:27
Beides. Also da ist schon eine Menge Architektur dabei, auch weil eine Lektorin, vor allem wenn sie auch noch bei Rowold arbeitet, da einfach drauf besteht. Das ist auch gut so, weil ich da ganz viel natürlich über Dramaturgie und solche Dinge, wie legt man den Plot und so, gelernt habe. Und als Literaturwissenschaftlerin kenne ich mich natürlich mit so einem Genre auch aus. Ich bin aber selbst gar keine große Krimileserin, obwohl ich finde, dass es ein total tolles Genre ist, weil man einfach richtig, also es ist ja der beste Gesellschaftsroman letztlich. Und man kann tollste Milieustudien treiben und so. Aber ich finde, leider sind die allermeisten Krimis, die ich so in die Hände bekomme, echt platt, echt sensationalistisch, echt vorhersehbar. Also ich bin da nicht zufrieden mit. So, mir gibt es irgendwie nichts, sowas zu lesen. Und das war für mich natürlich aber auch ein Anreiz, irgendwie was Besseres zu schreiben. Da war sehr, sehr viel intuitiv bei. Und was für mich von Anfang an klar war, ist, dass ich, also Krimi, so ein bisschen Schema F-Krimi ist ja, Ordnung gerät irgendwie in Unordnung durch ein Verbrechen. Und am Ende muss es dank der Arbeit der ErmittlerInnen wieder restituiert werden. Und Ordnung ist wieder da, Happy End. Und diese ganzen Parameter wollte ich durcheinander bringen, weil aus feministischer Sicht gibt es an der patriarchalen Ordnung nichts zu restituieren. Das ist ja genau der Backlash, finde ich. Sondern im Gegenteil muss ja einmal richtig aufgerüttelt werden und da muss es ein Beben geben, ein gesellschaftliches. Und auch all die anderen Dinge, was ist ein Verbrechen und so weiter. Es wird immer so dargestellt, als wäre das total klar Und mir fehlen da ein bisschen die Ambivalenzen oft und auch eine gewisse Ambiguitätstoleranz. Da ist unsere Gesellschaft gerade jetzt in dieser sehr, alle haben irgendwie so sehr viel Ideologie, habe ich das Gefühl, eingeatmet. Wir reden auch inzwischen gar nicht mehr über dieselben Fakten im postfaktischen Zeitalter und wollen aber gleichzeitig schwarz und weiß. Und bitte keine Überforderung, sondern nur unter Komplexität. Und das ist etwas, was ich bei aller Überforderung, die wir natürlich haben, durch zu viel Information, die ich trotzdem nicht will und die ich auch von der Ästhetik her, also mir geht es auch um ein ästhetisches Konzept, nicht lesenswert finde, ehrlich gesagt, und auch in der Serie nicht sehen will. Ich habe gerne Komplexität, ich habe gerne Ambivalenzen.
Susi
00:37:43
Als du gerade meintest, die Ordnung soll gar nicht wiederhergestellt werden, das war auch etwas, was auf der Lesung von den Krimi-Autorinnen genannt wurde. Die eine sagte, die Ordnung, also den Status quo, wollen wir ja gar nicht, weil die Ordnung die Ursache ist und die Gewalt ihr Symptom. Wie soll ich sagen? Es war so ein Riesen-Aha-Moment auf einmal. Übrigens auch ein Motiv in Superheldenfilmen, dass man ganz oft diese Superwaffe, Superheld einsetzt, um den Status quo wiederherzustellen und die Regierung oder alles, was den Konflikt ausgelöst hat, wird nie infrage gestellt und im Krimi jetzt zu sagen, ach Mensch, die Ordnung ist gar nicht mehr das Ziel und das passt ja irgendwie so gut zu dem, was du gerade gesagt hast, mit Denkszenarien aufmachen, was könnte denn danach kommen? Also eine Unordnung kann eine Krise sein, sicherlich ein Wendepunkt, aber danach kann auch wieder was Neues entstehen und was Neues wachsen. Da kommt man natürlich genau in diese Denkprozesse rein und sich zu fragen, wie geht es denn jetzt weiter? Und was ich auch noch sehr stark fand, war die Aussage von der einen Autorin, die sagte, ja, das Patriarchat steht halt nie vor Gericht. Es sind immer Einzeltäter, es sind immer singuläre Taten, es ist nie irgendwie strukturell eingebettet. Und deswegen wird man gar nicht auf diesen Status Quo, auf diese Ordnung so angestupst, sondern ergötzt sich einfach so ein bisschen an dieser Täterpsychologie. Und dann, weil sie sagte, Patriarchat steht nicht vor Gericht, musste ich auch gleich so an diesen PDD-Prozess gerade denken, der auch so leider jetzt wieder zu seinen Gunsten irgendwie ausgegangen ist, wo ich auch so dachte, ich wünschte, man würde eine Form finden und ich würde auch behaupten, du hast es mit Riot Girl geschafft, das Patriarchat anzuklagen, zu markieren. Mal hinzustellen, weil das hat ja keine haptische Form in dem Sinne, aber feministische Krimi-Autorinnen versuchen sozusagen immer das Strukturelle mitzudenken, was irgendwie für mich immer sehr heilsam ist. Und es ist nicht nur eine weibliche Lebensrealität, mit der man irgendwie was anfangen kann, sondern es ist auch so ein Gefühl, was man in sich trägt, wird aufgenommen und umgewandelt und einmal verdaut und irgendwie stößt es einem sauer auf und man weiß nicht genau. Aber es kann was ins Arbeiten gebracht werden. Und jetzt würde ich mit dir gerne nochmal über Obalski sprechen. Obalski hat mich, also ein bisschen habe ich immer an dich gedacht beim Lesen, aber ich kriege sie nicht ganz gegriffen, weil sie hat erstmal keinen Vornamen. Und würde ich jetzt nur lesen, Obalski ermittelt, könnte es ja auch erstmal klassisch männliche Konstruktion sein. Das kennen wir ja so. Irgendwie so Nachnamen raushauen. Das machen Frauen untereinander komischerweise auch nicht so. Und dann ist Obalski so ein bisschen Lonely Ranger mäßig unterwegs. Also ich sehe da nichts, dass sie jetzt große Freundschaften pflegt. Sie ist halt neu in München auch noch. Sie sitzt dann abends an der Bar mit einem Bier. Das ist mir erstmal ursympathisch, aber es hat auch wieder so bei mir Referenzen hervorgerufen von all diesen einsamen, zerknitterten Kommissaren, die abends da an der Theke alleine sitzen, den Barkeeper volllabern und ihr Bier saufen. Also da gibt es so einen Gender-Flip, sage ich jetzt mal so ein bisschen. Und gleichzeitig agiert sie aber auch wieder ganz anders. Die ist total einfühlsam, die hat Ideen. Ist da eine Agenda jetzt, dass Obalski so ein bisschen die Male-Features aufnimmt? Oder habe ich da was falsch gelesen?
Susanne Kaiser
00:41:18
Also Obalski ist natürlich jetzt inzwischen eine eigene Person und hat sich verselbstständigt. Deshalb kann ich nur teilweise über meine Agenda sprechen. Du liest sie ja vielleicht auch anders, als ich sie schreibe. Aber natürlich ging es mir schon darum, so ein paar Klischee-Features irgendwie aufzunehmen, auch um Menschen abzuholen und die dann aber zu dekonstruieren. Das finde ich irgendwie eine lustige Idee. Deshalb auch Bier, also bei anderen Romanautoren, Krimi-Autoren werden es dann die Laudanum-Tropfen und die, keine Ahnung, die Morphium-Sucht und so. Das ist immer alles sehr hochgehängt, finde ich. Und so ein einfaches Bier fand ich einen schönen Bruch mit diesem Klischee. Und auch diese Lone Wolf Attribute quasi, das mal so ein bisschen aufzunehmen und auch ad absurdum zu führen, indem sie eben einfach gar keinen Vornamen hat, fand ich irgendwie schön. Und das ist ja auch etwas... Also es hat ja einen Grund, warum Jungs so ab der vielleicht siebten Klasse oder so sich mit Nachnamen anreden. Ey Schmidt, hier, komm mal rüber und keine Ahnung. Na, Müller. Ja, weil da so eine Professionalisierung und eine Distanzierung anfängt. Und das ist etwas, was Frauen nicht in Anspruch nehmen können für sich. Frauen sind immer Vornamen, Frauen sind immer Gabi, die Sekretärin, keine Ahnung. Gabi, bring uns mal den Kaffee rein.
Susi
00:42:29
Übrigens auch bei Filmtiteln, Diana, Hilde und so weiter. Und dann auf der anderen Seite haben wir Oppenheimer und so weiter. Also da sehen wir das auch.
Susanne Kaiser
00:42:38
Genau. Und das legt ja Frauen auch schon wieder auf den persönlichen häuslichen Bereich fest und verortet Männer im professionellen Umfeld. Also da fängt es ja schon an. Und das mal zu durchbrechen und nicht dieses, da sind Frauen ja wie Kinder. Die werden ja nie erwachsen. Die werden nie Nachname. Die sind nie siezfähig. Die bleiben immer in dieser Vornamenskonstellation wie ein Kind halt. Und das ist ja mega paternalistisch. Und natürlich wollte ich das brechen. Und deshalb hat sie nur einen Nachnamen und deshalb duzt sich da auch niemand in ihrer Abteilung. Die siezen sich, weil das ein professionelles Umfeld ist, finde ich, was auch einer Frau natürlich gebührt. Also vor allem, wenn sie solche Fähigkeiten hat, wie Obalski sie hat und irgendwie eine richtig gute Ermittlerin ist.
Susi
00:43:21
Jetzt musst du mir nochmal kurz helfen, weil bei Obalski gibt es nämlich noch eine andere Zutat. Und zwar, glaube ich, ist es so, dass sie zwar bei der Polizei ist, aber undercover im Jugendamt eingeschleust wird, um dort... Am Seelsorgetelefon, Fell von Gewalt und häuslicher Gewalt und so weiter aufzuspüren. Wir haben hier eigentlich keine Ermittlerin im klassischen Sinne, sondern sie ist jetzt eher Sachbearbeiterin inkognito. Und ich aber dachte, boah, habe ich schon mal sowas gelesen, so eine Sachbearbeiterin-Jugendamt-Perspektive. Also so gefühlt irgendwie würde ich sagen, nee, das ist eher so unsexy, weißt du, was ich meine? Das muss schon richtig so BKA und FBI und so weiter sein.
Susanne Kaiser
00:44:07
Ja, auf jeden Fall. Und das habe ich natürlich ganz bewusst gemacht, um auch von dieser großen, sehr männlichen Bühne, FBI, BKA, CIA, keine Ahnung, MI6 und so, russische Spione, bla bla, irgendwie wegzukommen. Weil ich finde, dass man damit auch wieder so krass diese Gewalt abstrahiert und damit ja auch ein bisschen wegpackt. Also da muss man sich nicht so richtig mit befassen, wenn das so weit weg ist und auf der großen Bühne der Weltpolitik und blablabla. Damit haben die allermeisten Menschen ja überhaupt nichts zu tun. Und die wirklich spannenden Fälle, die finden ja ganz woanders statt. Die finden eben im Jugendamt nebenan oder in der Schule oder in den eigenen vier Wänden von Personen statt. Da spielt das spannende Leben und die spannenden Kriminalfälle. Und Obalski ist ja auch in einem Dilemma. Das ist ja eben nicht so, dass sie da am Seelsorgetelefon Gewaltgeschichten aufspüren soll oder so, wie eine normale Jugendamtsmitarbeiterin, sondern es geht ja darum, dass am Anfang eben die Influencers die Täterinnen sind und die soll sie ermitteln. Das heißt, sie ist in einem totalen Dilemma, weil sie natürlich eigentlich junge Leute schützen muss im Jugendamt, als Kripo-Kommissarin aber den Auftrag hat, die zu ermitteln. Und dieser Widerspruch und dieses Dilemma wird auch immer drängender für sie. Also sie merkt nach einer Weile, dass sie wirklich in Konflikt gerät mit ihren eigenen Positionen und eben damit, wer ist Täterin, wer ist betroffen von was, vielleicht beides und was steckt da noch dahinter. Und auf diese Suche begibt sie sich dann. Und deshalb ist sie eben auch keine klassische Kripo-Beamtin einfach beim BKA irgendwie ausgebildet, sondern sie hat ja nur so eine Schnellschulung gemacht und sie kommt aus den Gender Studies und hat deshalb eben einen ganz anderen Blick auf die Dinge und ist deshalb auch prädestiniert dafür, so eine Jugendbewegung zu ermitteln und zu schauen, was ist dahinter. Oder weil sie Menschen, und das ist ihre große Fähigkeit, sie kann Menschen lesen, sie kann Körpersprache lesen, sie kann Körper lesen, sie kann Kommunikation lesen und verstehen. Und zwar ganz anders, als die bei der Kripo das können und hat dann eben diesen Gender-Hintergrund. Deshalb sieht sie ganz andere Dinge und viel mehr als ihre KollegInnen bei der Polizei.
Susi
00:46:09
Ich würde gerne mit dir, weil du auch gleich los musst, einen großen Komplex nochmal bearbeiten, und zwar die Erzählperspektive, Täterperspektive versus Betroffenenperspektive. Du machst das in Riot Grrrl ein bisschen diffus im guten Sinne. Man weiß hier nicht so richtig, wer sind die Täter, wer sind die Opfer. Ich habe mir aber beim Lesen gedacht, dass ich das so krass finde, eben auch wie bei Adolescents, dass wir immer so fasziniert sind von Täterpsychologien und warum hat er das gemacht und wie kann man so sein. Und wir kennen die Serien hier Dharma und was weiß ich, was das Schweigen der Lämmer. Also es gibt eine große Erzähltradition, sich in die Täterpsyche reinzuversetzen. Und das geht dann auch sogar bis dazu, dass man das umkrempelt in so einen misogynen Auftrag von passt auf, geht nicht alleine abends raus. Also die große Aufgabe im feministischen Krimi ist ja quasi, das zu verlassen und in die betroffenen Perspektive drüber zu wechseln. Und da habe ich gedacht, boah, das stelle ich mir super schwierig vor, weil man gegen so eine ganz große Angewohnheit ankämpft. Und natürlich hat eine Täterpsychologie das Monster und so weiter, was total anziehende, was total faszinierend ist. Und Opfer, wer will schon Opfer sein?
Susanne Kaiser
00:47:25
Ich habe noch nie mit einer Frau gesprochen und ich habe ja echt viel auch in Frauenhäusern und keine Ahnung recherchiert. Ich habe noch nie mit einer Frau gesprochen, die einfach nur Opfer war. Noch nie. Keine Frau ist einfach nur Opfer ihrer Umstände oder dessen, was ihr passiert. Deshalb meinte ich auch zu Adolescents, es gibt immer einen Handlungsspielraum, es gibt immer einen Entscheidungsspielraum. Es sind keine Automatismen, dass man sich in eine rein unterdrückte Opferhaltung, dass man da irgendwie drin wäre und da nicht rauskäme. Mit dem Rauskommen ist so eine Sache, weil es gibt viele Widerstände, aber allein von der Haltung her, also jede Frau, mit der ich gesprochen habe, hat zum Beispiel, egal was sie erlebt hat, die schlimmsten Sachen, hat trotzdem auch über den Typen gelacht. Vielleicht nicht in der Situation der Gewalt, aber die haben sich alle was bewahrt. Also ich wollte weg von diesem Schwarz-Weiß, hier sind Täter, da sind Opfer, sondern halt eine komplexe Welt zeigen, in der gerade junge Frauen eben Agency haben und eine Rebellion anzetteln können und sich eben doch Gehör verschaffen können und eben doch Möglichkeiten haben, wie die Phobiebewegung Möglichkeiten auslotet. Ja, was können wir jetzt machen in dieser Situation, wo wir völlig so aufs private Persönliche zurückgeworfen werden? So auch da, ja, wir haben immer Möglichkeiten. Und das nochmal so ein bisschen, also aus diesem so reinen Opferstatus rauszukommen. Ich kenne auch keine Frau, die gerne Opfer genannt wird. Es gibt ja einen Grund, warum wir von Betroffenen sprechen und nicht von Opfern.
Susi
00:48:51
Ich denke gerade, ich glaube, wir haben auch einen ganz falschen Opferbegriff. Also ich habe gerade irgendwie gedacht, es könnte auch daran liegen, weil wir das so gewohnt sind, die schöne, weiße, reine, junge Wasserleiche zu sehen, die keine Backstory hat, die total langweilig ist, die sowieso hypertraumhaft schön ist und dann aber sehr bemitleidenswert irgendwie total brutal ermordet wurde, dass wir das gar nicht gelernt haben sozusagen zu verstehen. Das hatten wir auch in der Folge mit Barbara Peveling über häusliche Gewalt. Also der Begriff Opfer als Opferlamm, als Darbietung und Betroffene und auch, dass eine Betroffene von Gewalt zum Beispiel auch sich widersetzen kann und Widerstand leisten kann und dann eben schon rausfällt aus diesem rein unschuldig Pipapo. Das ist so das eine, glaube ich, wo wir rauskommen müssen. Und da hatte ich von dir einen ganz tollen Kommentar bei Deutschlandfunk gehört zur schönen Leiche. Verlinke ich euch. Da hast du das auch einmal alles aufgeräumt, was da alles auch an Frauenfeindlichkeit drinsteckt in diesem Opferbegriff. Und das andere ist, was du eben auch gerade gesagt hast, die Agency, das haben eben auch die Krimi-Autorinnen bei der Lesung genannt. Das Spannende ist ja, wann ist dieser Moment, wann ich ausbreche, wann ich mich wehre? Wann höre ich auf, das zu tun, was ich davor getan habe und ein Opfer zu sein und wann wehre ich mich? Wann kippt dieser Leidensdruck in etwas, was einen Handlungsspielraum aufmacht? Und da habe ich gedacht, ja, ich möchte gar nichts anderes mehr lesen jetzt.
Susanne Kaiser
00:50:26
Das ist schön, ja. Ich habe bei Mitho Sanja in einem ganz frühen Sachbuch von ihr, Vergewaltigung heißt es. Und da gibt es, ich glaube, relativ am Ende diesen einen schönen Satz, der lautet... Bleibe ich jetzt als Frau immer zu Hause, nachts im Dunkeln oder gehe ich nicht doch einfach durch den Park und ich nehme in Kauf, kann mir passieren, ich kann vergewaltigt werden, aber es ist schon, ich finde, es ist so eine Transgression, diese Haltung alleine zu haben, zu sagen, ich lasse mir da keine Angst machen, ich gehe raus, ich gehe durch den Park nachts im Dunkeln. Und das alleine, das ist kein großer Akt, das ist kein, sie ist nicht bewaffnet, da ist keine große Gewaltfantasie, Rebellion, keine Ahnung was dahinter, sondern es ist ein ganz kleiner Akt. Aber der ist total bahnbrechend. Es ist ein Riesenunterschied, ob ich mich selbst victimisiere oder nicht. Allein dieser kleine Gedanke, der ist bahnbrechend.
Susi
00:51:16
Ich hätte auch noch so ein schönes Bild, weil wir über diese Stranger Danger bei der Lesung geredet haben. Also, dass wir oft aus Männerfantasien dieses Motiv kennen, was du jetzt auch gerade aufgemacht hast, Frau im Park alleine draußen und dann passiert was Schlimmes und sie wird da in den Busch geworfen. Und ich würde sagen, das hat sich auch schon seit ich ein kleines Mädchen bin in mich eingeprägt. Es gab auch diese eine, weißt du, unbeleuchtete Seitengasse, wo meine Mutter immer sagte, geh mal da nicht lang. Und man hatte immer eine diffuse Angst, wovor eigentlich. Also das Wort Vergewaltigung hat meine Mutter ja nicht benutzt. Aber es war klar, das ist gefährlich für mich und nicht, weil da ein Tier sitzt, was mich anspringt, sondern ein Mensch, ein Mann. Ich habe bis heute noch, ich hasse Campen oder so, aber wenn ich dann mal doch irgendwo im Wald übernachten würde, ich habe immer Angst vor Männern, also vor Wildschweinen auch, aber ich habe immer Angst vor dem Axtmörder, dass der jetzt da in mein Zelt plötzlich reinkrabbelt. Und bei der Lesung wurde eben auch gesagt, so dieser Mythos vom bösen Wolf, der macht uns eben zum Rotkäppchen, infantilisiert uns und victimisiert uns und auch diese Rolle einfach abzustreifen. Aber dazu kommt eben auch, weil es eben diesen Mythos gibt, im Gegensatz zu den Gewaltstatistiken, die eben immer wieder zeigen, der gefährlichste Ort für Frauen, für Flinter ist das eigene Zuhause, also die häusliche Gewalt. Und der böse Wolf kommt aus dem Gebüsch gesprungen ist eben gar nicht die größte statistische Gefahr und das spiegelt sich aber in True Crime, Thrillern, Krimiromanen und so weiter überhaupt nicht wieder. Das heißt, dieser Mythos wird eben auch ständig belebt. Ich finde es schon wie ein kleines Gefängnis auch, in dem man dann sagt, na dann ziehe ich halt keinen Rock an, dann gehe ich halt da nicht raus. Also ganz ehrlich, ich weiß nicht, wann ich im Dunkeln im Park war. Das waren vielleicht so meine Teenage-Years, in einer Gruppe vielleicht noch oder so. Ich würde aber auch sagen, dass ich das vermisse. Du weißt, ich lebe in Potsdam. Wir haben sehr schöne Parks hier. Aber du musst los und ich stelle euch noch als Service eine kleine Liste zusammen von den Autorinnen, die ich bei der Lesung erleben durfte mit ein paar Romanempfehlungen. Es ist ein wunderschönes Genre, sich unterhalten zu lassen und auf Ideen zu kommen. Ein Ventil für die eigene Wut, für die eigene Aggression. Denn auch ich habe Gewaltfantasien und es hat mir riesigen Spaß gemacht, die durch die Influencers auszuleben. Ich hatte so viele Jahre keine Krimis mehr gelesen, weil es mich einfach nicht interessiert hat, weil es nichts mit mir zu tun hatte, weil es einfach platt und banal war. Und jetzt hat sich dieses Genre mir wieder aufgemacht und ich habe bei der Recherche jetzt so viel gefunden, dass ich dachte, okay, das reicht jetzt so für Lifetime. Ich könnte jetzt mein ganzes Leben ab heute nur noch feministische Krimis lesen. Und jetzt möchte ich natürlich noch wissen, wann kommt der zweite Teil von Riot Girl?
Susanne Kaiser
00:54:04
Also der zweite Teil wird Witch Hunt heißen und kommt auch wieder im April 2026 dann bei Rowold raus.
Susi
00:54:11
Dann hoffe ich, dass wir irgendwann mal in München zusammen ein Bierchen trinken können.
Susanne Kaiser
00:54:16
Im Giesinger.
Susi
00:54:18
Oder uns bei nächster Gelegenheit wieder im Podcast treffen. Vielen, vielen Dank für deine tollen Insights, für deine tolle Arbeit.
Susanne Kaiser
00:54:26
Danke dir für die Fragen und die Anregungen.
Susi
00:54:28
Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann freue ich mich sehr, wenn ihr das doch euren FreundInnen.
Music
00:54:36
Music

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