46. 👠 Pretty Woman unpacked – Der Film hat mich geschädigt

Ein feministsicher Recap

10.04.2025 45 min

Zusammenfassung & Show Notes

Heilige-Hure, Cool-girl, Pretty privilige, Himpathy, Verführung als Macht – Ich habe die patriarchalen Tropes unter die Lupe genommen.

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Dekonstruktion eines Märchens
Julia Roberts verkörpert in Pretty Woman die Traumfrau des Postfeminismus: sexy, aber nicht verrucht. Kindlich, aber selbstbewusst. Der Film erschafft ein scheinbar emanzipiertes Frauenbild, das die patriarchale Ordnung jedoch nicht hinterfragt. In einer Mischung aus Heiliger Hure und Cool Girl ist sie die perfekte Männerfantasie – und mein absoluter Lieblingsfilm, seit ich sechs Jahre alt war. In dieser Folge analysiere ich, wie sich alte Gendersterotype noch heute popkulturell fortschreiben.

🏰 Männliche Dominanz
„Du bist doch ein gutaussehender Mann, du kannst alle Frauen umsonst haben!“ – diese Zeile aus dem Film verdeutlicht bereits, worum es eigentlich geht: männliche Kontrolle über weibliche Verfügbarkeit. Edward kauft sich eine unkomplizierte Frau ohne Ansprüche – und das wird als romantische Liebesgeschichte inszeniert. „Alle Frauen in dem Film sind Dienstleistungsobjekte – ob Ehefrau, Sekretärin oder Prostituierte – immer für einen Preis verfügbar“, beobachtet die Kulturwissenschaftlerin Jane Caputi. Diese Folge zeigt, wie der Film mit Erzählmustern des „Bad Boys“ und „Himpathy“ spielt und Machtgefälle zu Romantik verklärt.

📚 Referenzen:
„ … that we recognize Pretty Woman as a distillations of an enduring female fantasy of „sexual submission and emotional domination“. (Zitat: Amerikanische Literaturkritikerin Daphne Merkin in dem Artikel „Prince Charming comes Back“, New York Times Magazine, 14. Juni 1990)
  • Pretty Woman Doku | Arte
  • Die Cool-Girl-Trope @thetake
  • Goddesses & Monsters. Jane Caputi
  • Wir müssen die Liebe neu erfinden. Mona Chollet
  • Fleischmarkt. Laurie Penny
  • Süß. Ann-Kristin Tlusty
  • Women & other Monsters. Jess Zimmermann
  • King Kong Theorie. Virginie Despentes
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Musik: Danke an Heyohmann!
Cover: Danke an Scarlett Nimz

Transkript

Susi
00:00:01
Es ist herrlich. Er kann ihr die Welt erklären und sie nimmt es dankend an wie ein gelehriges Schulmädchen. Frauen werden aus misslichen Lagen befreit, wenn sie weiß, jung, schlank und unschuldig sind. Aber sie werden nicht emotional aufgefangen. Dafür gibt es kein Narrativ. Hier ist eine Liste, was das achtjährige Mädchen von damals sich durch diesen Film scharf eingeprägt hat.
Music
00:00:25
Susi
00:00:27
Eine Traumfrau unterdrückt ihre eigenen Bedürfnisse. Und das habe ich dann später auch gemacht. Hallo zu verbittert talentlos. Heute mit einer Single-Folge über Pretty Woman. Ich habe mir schon länger vorgenommen, mich mal mit meinen Guilty Pleasures von früher auseinanderzusetzen. Jetzt habe ich es endlich geschafft. Eigentlich sollten das so schnelle Folgen werden, die ich gut zwischendurch mal produzieren kann. Jetzt hat es irgendwie doch drei Monate gedauert, diesen Text zu schreiben und ich habe auch gerade ziemlich viel um die Ohren, weil ich versuche, eine Podcast-Kollaboration auf die Beine zu stellen und zwar zum kritischen Muttertag. Im Mai bekommt ihr also hier den Happy Fucking Mother's Day auf die Ohren. Es werden sich verschiedene feministische Podcasts daran beteiligen. Ich halte euch da natürlich auf dem Laufenden. Auch in meinem Newsletter könnt ihr euch darüber informieren. Mein Newsletter könnt ihr auf Steady lesen, kostenlos. Dort gibt es auch immer meine feministischen Highlights von Filmserien, Podcasts, Dokus, Büchern, whatever. Außerdem möchte ich euch auch bitten, diesen Podcast finanziell zu unterstützen. Auch das geht auf Steady mit einer Mitgliedschaft, die ihr dort auswählen könnt und mir damit hilft, diesen Podcast kostendeckend zu gestalten. Denn ich bin alleine, ich trage alle Kosten selbst und an alle meine Mitglieder, die schon da sind, vielen, vielen, vielen Dank. Jo, und jetzt gehen wir mal rein. Pretty Woman Unpacked. Pretty Woman kam 1990 in die Kinos. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, aber es war definitiv in der Grundschule. Die Mutter einer Klassenkameradin hatte die VHS und wir haben uns nach der Schule heimlich getroffen, um den Film zu schauen. Oder vielleicht hat mich meine Mutter auch gegroomt. Ich weiß es nicht mehr. Ich muss so zwischen sechs und acht Jahren alt gewesen sein. Und wenn ich heute so darüber nachdenke, frage ich mich, wusste ich damals überhaupt, was eine Prostituierte ist? Ich erinnere mich noch genau, dass mich eine bestimmte Szene immer sehr irritiert hat. Ziemlich am Anfang, nachdem Vivian und Edward sich kennenlernen. Sie fährt ihn in dem Lotus ins Hotel. Er fragt nach ihrem Honorar, sie nennt den Preis und dann sagt er. 100 Dollar die Stunde. Wirklich eine schöne Stange? Nein, im Augenblick noch nicht, aber es könnte eine werden. Und greift ihm dann so zwischen die Beine. Und ich hatte damals natürlich keine Ahnung, was mit dieser Stange gemeint ist. Wahrscheinlich wusste ich nicht mal richtig, was Sex ist. Aber irgendwie war trotzdem klar, hier geht es ums Geschäft. Sie ist arm, er ist reich. Klassische Cinderella-Story. Er muss sie retten. Sie ist wunderschön. Dennoch die Musik, das Setup, die Klamotten. Ich liebe diesen Film einfach. Ich habe ihn unzählige Male gesehen. Ich kenne ihn quasi auswendig. Jedes Mal, wenn es irgendwo Pancakes gibt, denke ich an den Anschlussfehler in der Frühstücksszene nach ihrer ersten Nacht. La Traviata habe ich mir wegen der Opernszene angesehen. Ich freue mich immer, wenn ich ein Hotelzimmer in der obersten Etage bekomme, weil Edward ja immer in Penthouses wohnt, obwohl er Höhenangst hat. Und zu meiner Abifeier wollte ich unbedingt so ein braun-weiß gepunktetes Kleid tragen, wie Vivian beim Poloturnier. Naja, ich bin definitiv geschädigt von diesem Film. Deswegen wird es Zeit, ihn zu anpacken, zu anzaubern und die subversiven Botschaften zu entschlüsseln. Erstens, wir müssen über das Motiv der heiligen Hure sprechen. Dass Vivian eine Prostituierte ist, könnte ja eigentlich ein Hindernis sein, sich mit ihr zu identifizieren. Ich meine, welches Mädchen träumt davon, mal auf den Strich zu gehen? Und trotzdem schafft es der Film, dass wir Vivian glamourös finden, dass wir sie bewundern, uns mit ihr identifizieren. Ich wollte definitiv so sein wie sie. Dass der Film das gelingt, hat natürlich wenig damit zu tun, dass sie als Sexworkerin arbeitet. Und es hat schon gar nichts mit der wirklichen Lebensrealität einer Sexworkerin zu tun. Sondern mit der Figur der Vivian ist es gelungen, eine moderne Frauenfigur zu entwerfen, die selbstbewusst und sinnlich ist, die aber gleichzeitig die patriarchale Ordnung aus Dominanz und Unterlegenheit nicht gefährdet. Das ist typisch für das Frauenbild der 90er Jahre. Diese Ära ist geprägt vom sogenannten Postfeminismus, einer medienkulturellen Phase, in der die Gleichberechtigung nach den Erfolgen des Zweite-Welle-Feminismus als erreicht galt. Und Frauen versuchten, sich aus ihrer marginalisierten Rolle zu emanzipieren. Es ist die Zeit von Madonna, die mit weiblicher Lust provoziert oder Tic-Tac-Toe, die frechleckt mich am Asing und die bestbezahlten Stars der Welt, die Topmodels sind. Für Romances der 90er sind keine grauen Mäuschen mehr gefragt, die klaglos den Haushalt ihrer Stiefmutter erledigen und deren Wangen mit Asche beschmutzt sind. Das Patriarchat muss die Zügel lockern, sich anpassen. Frauen wollen ihre Sexualität frei ausleben? Okay. Aber natürlich nur, solange die Männer on top bleiben. Übrigens habe ich auch eine ganze Folge gemacht über die trügerische Seite des Postfeminismus. Verlinke ich euch wie immer in den Shownotes. Vivian ist das perfekte, modernisierte Aschenputtel der 90er Jahre. Sie ist sexy, aber kein Vamp. Sie ist sinnlich, aber nicht verrucht, wie zum Beispiel Sharon Stone in Basic Instinct. Vivian ist unschuldig, aber nicht prüde. Sie hat Straßenscham und Witz, aber sie ist nicht abgebrüht oder gerissen. Der Film gibt sich große Mühe, sie von allem abzugrenzen, was sie wirklich anstößig machen könnte. Sie arbeitet ohne Zuhälter. Wir sagen wer, wir sagen wann, wir haben unseren eigenen Preis. Sie nimmt keine Drogen. Ach so ein Quatsch, ich nehme keine Drogen. Ich habe damit aufgehört, als ich 14 war. Und was ist das? Gute alte Zahnseide. Ja, na und? Sie ist clever, verantwortungsbewusst, besteht auf safer Sex und hat ihre Finanzen im Griff. Nein, das glaube ich einfach nicht. Du hast mit unserer Mietkohle Shit gekauft. Du bist wohl verräumt. Ist ja gut. Ich brauchte dringend eine Tüte. Aber wir brauchen das Geld für die Miete. Halt die Füße still, Chica. Während wir erfahren, dass eine Kollegin von ihr ermordet aus der Mülltonne gefischt wurde oder ihre Mitbewohnerin Luca offenbar drogenabhängig ist und sich öfter auch mal mit falschen Typen einlässt, scheint Vivian von Drogen und Gewalt völlig frei zu sein, weil sie verantwortungsvolle Entscheidungen trifft. Als wären Armut und Gewalt in diesem Milieu eine Frage der Einstellung. Sie vereint zwei widersprüchliche Männerfantasien. Einerseits ist sie brav und unschuldig. Andererseits ist sie sinnlich, frech und selbstbewusst. Und genau diese Kombination macht sie zur perfekten Identifikationsfigur für junge Frauen. Dieses Motiv ist in der patriarchalen Erzähltradition als Heilige-Hure-Komplex bekannt. Dem liegt ein misogynes Frauenbild zugrunde, in dem Frauen in einen moralischen Kontext eingeordnet werden, innerhalb dessen sie entweder die heilige, keusche Maria oder die unmoralische, aber verführerische Magdalena sein können. Niemals aber beides gleichzeitig. Huren gelten als gefährlich fürs Patriarchat, deswegen werden sie geächtet. Die Kraft der Verführung gilt seit Odysseus und den Sirenen als fatale Waffe. Zur weiblichen Macht der Verführung schreibt Jess Zimmerman in ihrem Essay Women in Other Monsters Kulturell gesehen haben wir ein kompliziertes Verhältnis zur Verführung. In gewisser Weise ist sie die primäre Form von Macht, die Frauen erlaubt ist, da sie auf den Wünschen der Männer basiert. Andererseits wird sie jedoch als unmoralische Manipulation angesehen, als Missbrauch der weiblichen Macht. Es ist eine Fantasie, die vielen Geschichten über Verführung als weibliche Macht zugrunde liegt. The Gold Digger, The Honeypot, The Girl on the Casting Couch, all die Frauen, die Verlockungen nutzen, um ihren Willen durchzusetzen. Es ist ein verzerrtes Narrativ und wie alle Fantasien, fein abgekoppelt von der Realität, in der die Körper von Frauen ohne ihr Einverständnis benutzt, gehandelt und als Ware betrachtet werden. Doch solche Narrative haben großen Einfluss. Besonders in einem Alter, in dem man starke Gefühle hat, aber noch zu jung ist, um zu wissen, wie man diese Gefühle deuten soll. Zitat Ende Ein weiterer Grund, warum Prostituierte als Bedrohung gelten, sie leben nicht monogam. Sie gelten als Antimütter und stehen außerhalb der traditionellen Familie. Und damit außerhalb des Systems, das die männliche Dominanz sichert. Denn um eine legitime paternale Erblinie zu garantieren, muss die Sexualität der Frau kontrolliert werden. Die ideale Partnerin ist deshalb keine unabhängige, sexuell erfahrene Frau, sondern ein eher unerfahrenes Mädchen. Jung, naiv, finanziell abhängig. Sie ist auf ihren älteren, erfahrenen, wirtschaftlich überlegenen Partner angewiesen. Und genau das stabilisiert die männliche Dominanz. Aber hier liegt das Problem. Einerseits soll die perfekte Partnerin rein und unschuldig sein, andererseits erwarten Männer eine leidenschaftliche Geliebte. Diese Widersprüchlichkeit beschreibt der Psychologe Nick Hallam, den Mona Cholet in ihrem Buch »Wir müssen die Liebe neu erfinden« zitiert. Mädchen lernen von klein auf ihre natürlichen Bedürfnisse zurückzuhalten. Und selbstverständlich bringt man ihnen paradoxerweise erst bei, sich für ihren Körper zu schämen, um später über ihre Prüderie zu spotten. Zitat Ende. Der Heilige-Hure-Komplex beschreibt also genau dieses Dilemma. Männer begehren Frauen, die gleichzeitig lustvoll und unschuldig sind, die ihre Sexualität ausleben, aber bitte nur in einer monogamen Beziehung, in der sie den Mann nicht verunsichern, sondern bewundern. Die Heilige Hure als fiktionale Figur ist der Ausdruck dieses Dilemmas. Sie ist eine Frau, die gerettet werden muss, die gegen ihren Willen und durch äußere Umstände in ihre Situation geraten ist, aus der sie sich befreien will. Durch ihre sexuelle Reife hat sie eine große verführerische Kraft und durch ihre Sehnsucht nach bürgerlicher Liebe hat sie die moralische Legitimation, als Objekt männlicher Begierde zu gelten. Und das ist Vivian, die perfekte Männerfantasie. Die heilige Hure-Truppe taucht in zahlreichen Filmen und Geschichten auf. Wir sehen sie in Moulin Rouge, Taxi Driver, Frühstück bei Tiffany's, ein unmoralisches Angebot, die Geisha, The White Lotus, La Traviata, Madame Butterfly, Miss Saigon, Carmen und so weiter und so fort. Für Frauen ist dieses Weiblichkeitsideal fatal. Einerseits sollen sie ihre Lust zügeln, sonst gelten sie als Schlampen. Noch heute werden Frauen mit häufig wechselnden Sexualpartnern moralisch abgewertet. Andererseits wird von ihnen erwartet, sich sexy zu geben, aber nicht manipulativ zu agieren. Das heißt, sich am besten der eigenen verführerischen Wirkung gar nicht bewusst zu sein oder eben so zu tun, als wäre man sich dessen nicht bewusst. So wie ein kleines naives Mädchen. Sie sollen schön sein, aber nicht wissen, dass sie schön sind. Zweitens. Apropos Männerfantasie. Lasst uns über Schönheit sprechen. Unser 90er-Jahre-Aschenputtel ist nicht nur sexy und verantwortungsbewusst, sondern vor allem eins. Schön. Der Film heißt ja schließlich Pretty Woman. Aber was genau macht Vivian eigentlich so schön? Sie ist weiß, jung, schlank. Sie ist hetero und hat eine wilde Wallemähne. Als ich selbst ein weißes, junges, schlankes Mädchen war, habe ich diese Voraussetzung für Schönheit gar nicht als solche wahrgenommen. Pretty Privilege, könnte man sagen. Heute würde ich nur noch eine dieser drei Kategorien erfüllen. Ich hatte damals vor allem also eine Botschaft von dem Film erhalten. Schönheit bedeutet, süß und fröhlich zu sein. Das Lächeln der Julia Roberts verzaubert einfach jeden. Es ist ihr Markenzeichen, neben der leicht hektischen Art, sich durch die Locken zu wuscheln und natürlich ihren endlos langen Bein. Dabei sind es nicht nur ihre sinnlichen Lippen und die blendend weißen Zähne, die sie so unwiderstehlich machen. Es sind auch die vielen Arten des Lächelns, die sie beherrscht. Sie kann laut und herzhaft sich überschlagen vor Lachen. Sie kann breit grinsen. Sie kann sinnlich lächeln. Sie kann schüchtern kichern. Sie kann kieksen, ohne dass es schrill ist. Ihr Lächeln ist ein Türöffner. Lächeln gibt dem Gegenüber Wohlbefinden und Sicherheit. Lächeln ist eine gefällige Zustimmung und Lächeln ist etwas, das Frauen als Strategie gelernt haben, um unangenehmen Situationen zu entgehen, um Eskalation zu vermeiden, um einen Konflikt zu beschwichtigen oder einfach, um sympathisch rüberzukommen. Lächel doch mal. Hat das schon mal ein Mann gesagt bekommen? Von Frauen wird erwartet, dass sie mit einem Lächeln durchs Leben gehen. Beschwichtigend und harmlos. Und es gibt ein ganzes Buch darüber, warum es eine patriarchale Gender-Performance ist, süß zu sein. Wer es noch nicht gelesen hat, ich empfehle euch ganz, ganz wärmstens Süß von Ann-Christin Plusti. Bücherliste kriegt ihr natürlich auch wieder in den Shownotes. 3. Vivian, das Cool Girl Schön ist Vivian aber nicht nur wegen ihrer äußeren Merkmale. Vivian ist eine Traumfrau, weil sie ein Cool Girl ist. Falls ihr meine Postfeminismus-Folge noch nicht gehört habt, hier eine kurze Erklärung. Der Begriff Cool Girl wurde durch das Buch bzw. Den Film Gone Girl von Gillian Flynn populär. Er beschreibt ein Muster in der Darstellung weiblicher Figuren, die darauf ausgelegt ist, die Fantasie des männlichen Hauptcharakters bzw. Des männlichen Publikums zu erfüllen. Cool Girl ist locker. Cool Girl ist unkompliziert. Sie verhält sich sorglos, ist niemals fordernd und akzeptiert alles, was ihr Partner tut. Sie ist nicht eitel und sieht dabei trotzdem makellos aus. Entsprechend dem Male Gaze natürlich. Sie mag typisch männliche Dinge, das packe ich mal in Anführungszeichen, wie Fast Food, Bier, Videospiele, Sport oder Actionfilme. Cool Girl ist sexuell offen, experimentierfreudig und stellt keine Erwartungen an langfristige Bindungen. Sie gilt als anders als andere Frauen. So ein bisschen wie der beste Kumpel mit Brüsten und ohne eigene Bedürfnisse. Cool. Okay, Vivian ist easygoing, frech, schlagfertig und kann doch rasend schnell auf sexy umschalten. Sie wird dafür bezahlt, alles zu tun, was Edward sagt. Aber sie interessiert sich auch dafür, wofür Edward sich interessiert. Ich meine, es hätte ja auch sein können, dass sie keinen Bock auf eine Oper hat. Hat ihm diese herrliche Oper gefallen? Shit, ja, einfach toll. Ich habe mir fast in die Hosen gepinkelt. Sie zeigt außerdem auch Interesse für Edwards Arbeit. Was machst du also? Ich kaufe Firmen. Darf ich mal fragen, was das für Firmen will? Und sie kennt sich mit Autos aus. Oh Mann, diese Flunder geht ja durch die Kurven wie auf Schienen. Später erfahren wir noch, dass sie mit Brüdern im Heartland der USA aufgewachsen ist und aus einfachen Verhältnissen stammt. Was ein Code dafür ist, dass sie nicht gierig ist, sondern bescheiden und bodenständig. Vielleicht sogar ein bisschen traditionell eingestellt. Und dann gibt es noch die Szene im Fahrstuhl. Im Fahrstuhl des Luxushotels trifft sie auf ein älteres Ehepaar und bringt sie mit ihrem Charme in Verlegenheit. Weißt du, was gerade passiert ist? Ich habe eine Laufmasche in meiner Strumpfhose. Ich habe gar keine Strumpfhose an. Sexy und selbstironisch zugleich. Kurz gesagt, Vivian ist nicht wie andere Frauen. Sie ist the one and only. Viertens, Machtdynamik. Steigen wir mal in die erste erotische Szene ein. Nachdem Vivian Edward zum Hotel gefahren hat, entscheidet Edward, dass er die Nacht mit ihr verbringen will. Er nimmt sie mit aufs Zimmer, will aber zunächst keinen Sex. Es ist auch gar nicht so klar, ob er sie als Prostituierte mit aufs Zimmer genommen hat, denn es wirkt mehr, als hätte er sich ein bisschen schon verknallt und will sie irgendwie nicht gehen lassen. Romantisch? Vielleicht. Oder aber er hätte sie einfach fragen können, ob sie mit ihm noch was trinken geht. Das wäre jetzt irgendwie mehr auf Augenhöhe gewesen, aber naja. Im Penthouse angekommen, muss er noch arbeiten. Einerseits lame, andererseits natürlich eine legitime Verzögerungstaktik, um die erotische Spannung aufzubauen. Schließlich ist das hier eine Romance. Er kann sie nicht einfach aufs Bett werfen und zack. Also wird er als perfekter Gentleman inszeniert. Er bestellt Sekt und Erdbeeren. Er will es langsam angehen. Man könnte aber auch sagen, die Situation verunsichert ihn. Er kann sich überhaupt nicht entspannen und füllt sie erstmal ab. Vivian wird ziemlich schnell beschwipst, kichert über irgendeine Retro-Sendung im Fernsehen, liegt auf dem Bauch und wackelt mit ihren Beinen wie ein Teenager-Girl in einer Highschool-Komödie. Sie agiert völlig unbefangen, während Edward sich in einen Sessel setzt und sie beobachtet. Cringe. Als sie seinen Blick bemerkt, sind keine Worte nötig. Sie versteht sofort, dass er jetzt Sex will. Moment, was ist aus der großen Verführungsgeste geworden? Er entscheidet, dass es jetzt soweit ist. Vivian, die eben noch halb betrunken albern vor dem Fernseher lag, schaltet in den professionellen Modus um. Wir werden nie erfahren, ob Vivian ihre Lust gefaked und ihre eigentlichen Bedürfnisse unterdrückt hat oder ob sie auch Bock auf ihn hatte in diesem Moment. Es spielt auch keine Rolle, denn wir haben längst begriffen, dass zwischen den beiden die Chemie stimmt. Merken wir uns einfach, dass er komplett über sie und die Situation entscheiden kann. Die Machtdynamik in dieser Szene ist ziemlich eindeutig. Edward bestimmt, wann, wo und wie etwas passiert. Vivian, eben noch entspannt auf dem Bauch, kriecht nun auf allen Vieren auf ihn zu. Wie willst du mich? Was machst du? Was du willst? Aber ich küsse dich nicht auf den Mund. Ich übersetze mal kurz. Ja, sie macht es oral. Mit diesem kurzen Verhandlungsgespräch versucht der Film die Machtdynamik wieder zu relativieren. Sie behält ihre Würde. Sie setzt ihre Grenzen. Sie ist nicht passiv, sondern verhandelt einen Deal. Nicht nur schnappt sie sich kokett ein Kissen, um ihre Knie zu schonen, wir erfahren auch, dass sie halt nicht alles macht. Der Film suggeriert einen gleichwertigen Tausch von Wahn, um so die Augenhöhe wiederherzustellen. Macht Vivians Kussverbot sie vielleicht erst so richtig attraktiv vor Edward? Sieht er darin eine Herausforderung? Immerhin wird er direkt am nächsten Abend in der Szene am Klavier versuchen, sich darüber hinwegzusetzen und sie auf den Mund zu küssen. Durch das Kussverbot wird sein Jagdinstinkt geweckt. Werde ich mehr als sein Freier sein? Werde ich sie zum Schmelzen bringen, zur wahren Hingabe? Wer Vivian küssen darf, weiß, er ist etwas ganz Besonderes. Vielleicht versteht er es auch als Hinweis auf ihre reine, unschuldige und integre Persönlichkeit. Nein, küssen, das ist nun wirklich zu intim. Das geht absolut nur mit Gefühlen. und Vivian wird wieder zur Jungfrau stilisiert, ungeküsst und der Kuss zum Symbol der wahren Hingabe. Vivian muss man sich ja sonst als Frau vorstellen, die mit unzähligen Männern geschlafen hat und Frauen mit sogenannten hohen Bodycount gelten als unanständig, billig und schmutzig. Warum? Weil sexuelle Erfahrungen vielleicht die Erwartungen erhöht oder Verunsicherung bei Männern auslöst? Für mich steckt in diesem Dialog ein Austarieren der Erwartungen. Vivian stellt klar, dass sie hier gerade arbeitet und somit alles macht, was Edward gefällt. Ihr eigenes Vergnügen und ihre Gefühle lässt sie außen vor. Damit nimmt sie jegliche Minderwertigkeitsgefühle, Verunsicherung, Leistungsdruck, Scham oder Verantwortung von Edward. Sexy. Fünftens, sie ewig zu binden. Am nächsten Morgen beschließt Edward, es wäre doch praktisch, wenn Vivian ihm die ganze Woche zur Verfügung stünde. Er hat geschäftliche Termine, bei denen eine Begleitung gut käme. Und ganz nebenbei haben wir ja bereits mitbekommen, dass sein Leben ziemlich einsam und sinnentleert ist. Wahrscheinlich wünscht er sich einfach auch Gesellschaft. Während Vivian quietschvergnügt, wie ein Kind in der Badewanne planscht und zu Prince singt, macht er ihr ein Angebot. Ich bezahle dich, dass du auf Abruf bereitstehst. Aber du bist doch ein gutaussehender, reicher Mann. Du kannst alle Frauen umsonst haben. Ich weiß Profis zu schätzen. Mit Amateuren habe ich in letzter Zeit nur Schwierigkeiten. Mit diesem Satz teilt er Frauen in zwei Kategorien ein. Er teilt sie in Profis, die tun, was er will, die kalkulierbar sind und keine emotionale Belastung darstellen. Und in Amateure, die Ansprüche haben, kompliziert sind und Aufmerksamkeit fordern. Im Grunde sagt er da, Frauen nerven. Sie sind wankelmütig, machen nicht das, was ich will, sind unkontrollierbar. Und es reicht ihnen nicht, dass ich das Geld nach Hause bringe, damit sie mir einen klitzekleinen Gefallen tun, sich hübsch anziehen und mich zu einem Business-Event begleiten. Nein, sie wollen mehr, immer mehr. Zuneigung, Gespräche, Tiefgründigkeit, Romantik. Aber ich arbeite nun mal so viel und ich habe eben keine Zeit für Bindungsarbeit. Diese Unterscheidung in Profi und Amateur ist zutiefst abwertend. Wir merken es nur nicht, weil wir ja auf Vivians Seite sind. Wir freuen uns ja für sie, dass sie jetzt eine Woche lang Pancakes frühstücken kann. Und wir wissen ja insgeheim, dass dieses Profi-Gerede nur ein Vorwort ist, weil Edward sich doch schon längst in sie verliebt hat und nicht will, dass sie geht. Aber warum kann er sie denn nicht einfach fragen, ob sie sein Date sein möchte? Die Kulturwissenschaftlerin Jane Caputi beobachtet, Alle Frauen in dem Film sind Dienstleistungsobjekte. Ehefrauen, Sekretärinnen, Prostituierte. Ob billig oder teuer, aber immer für einen Preis verfügbar. Tatsächlich behandelt Edward Vivian eigentlich nicht anders als seine Ex-Partnerin. Bisher hat er ja alle seine Partnerin ausgehalten. Mit Luxuswohnungen, Autos, Schmuck, Mode. Also im Grunde hat er sie bezahlt, damit sie ihm abends Gesellschaft leisten. Nur diese Frauen wollten keine Bezahlung. Sie wollten eine emotionale Verbindung. Sie wollten nicht wie Prostituierte oder wie Edward es nennt Profis behandelt werden, sondern wie gleichwertige Partnerin. Aber warum ist das für ihn eigentlich so schlimm? Die klassische Hollywood-Antwort lautet, na weil es nicht die richtigen Frauen waren, na klar. Er sehnt sich nach Liebe, aber irgendwie war halt noch nicht die Richtige dabei. Oder er hat Probleme, sich auf Gefühle einzulassen, es fällt ihm schwer, über Emotionen zu sprechen oder überhaupt eine Konversation aufrechtzuerhalten. Vielleicht kann er sich gar nicht auf die Bedürfnisse von anderen einlassen. Vielleicht ist er sogar so unsicher, dass er Angst hat, Menschen emotional an sich ranzulassen, weil sie ihn enttäuschen könnten. So wie sein Vater, der ihn und seine Mutter verlassen hat. Vielleicht hat er Angst, dass man in seine innere Businesslehre hineinsehen könnte und deshalb baut er lieber eine Mauer darum. Bis er endlich die eine findet, die ihn so akzeptiert, wie er ist. Oder ist Edward einfach ein klassischer Predator? Also wenn wir die tiefen Psychologie mal kurz weglassen, dann könnte man es ja auch einfach mit Mario Barth erklären. Männer sind Jäger, Männer wollen sich nicht binden, Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen, Männer sind freiheitsliebend, abenteuerlustig, aktiv, wettbewerbsorientiert, Frauen sind häuslich, emotional, kuschelbedürftig, kommunikativ, Männer sind nicht dafür gemacht, sich zu knechten und ewig zu binden, es sei denn, es kommt die eine wie keine. Und die ist natürlich ganz anders als andere Frauen. Sie ist hübscher, witziger, unkomplizierter, sorgloser, unterstützender, verständnisvoller, selbstgenügsamer. Nur leider steckt für Vivian in diesem Deal eine komplette Selbstverleugnung. Unkompliziert soll es sein, ja. Aber was heißt unkompliziert? Auf jeden Fall keine eigenen Bedürfnisse zu äußern. Hier ist eine Liste, was das achtjährige Mädchen von damals sich durch diesen Film scharf eingeprägt hat. Eine Traumfrau unterdrückt ihre eigenen Bedürfnisse. Und das habe ich dann später auch gemacht. Eine Traumfrau hat Humor. Also nicken und lächeln, wenn es sein muss. Eine Traumfrau hat nützliche Talente. Zum Beispiel sich mit Autos auskennen. Das ist cool für Männer. Eine Traumfrau ist hübsch und braucht schicke Klamotten. Eine Traumfrau ist uneitel. Problem? Wie soll ich immer perfekt aussehen, ohne dass er merkt, wie viel Aufwand das ist? Okay, ich könnte einfach früher aufstehen und mich schon mal im Bad frisch machen, Zähneputzen, Invisible Make-up auflegen, schnell was essen und wieder ab ins Bett hüpfen und frisch wie der Morgentau mit ihm in den Tag starten. Ich verstelle mich ja nicht, ich mache halt Sachen nur heimlich, so wie Kacken, Pupsen, Pickel ausdrücken, Menstruationsartikel kaufen, Menstruationsartikel wechseln, immer frische Unterwäsche dabei haben, üben, eine Bierflasche mit einem Feuerzeug zu öffnen, rausfinden, was er mag und so weiter. Warum fragen wir uns eigentlich nicht, ob wir so einen Typen überhaupt wollen? In Vivians Fall ist die Antwort klar, sie hat keine Kuhle. Aber es gibt immer einen guten Grund, warum man von dem Wohlwollen von Männern abhängig ist. Denn es geht nicht nur darum, einen Mann zu verzaubern und ihn ewig zu binden. Es geht auch darum, Männer als Gatekeeper für Position, Geld und Macht zu beeindrucken oder zumindest zu gefallen oder zumindest nicht bedrohlich zu wirken, um so ein Stück vom Kuchen abzubekommen. 6. Männlichkeitsinszenierung Lasst uns mal genauer hinsehen, was Edward eigentlich zum sympathischen Traumtyp macht. Es soll ja Menschen geben, die dem Charme von Richard Gere widerstehen können, aber mal ehrlich, es sind nun mal die nachdenklichsten Schlupflieder, das unergründlichste Lächeln und die elegantesten Wangenknochen Hollywoods. In seiner ruhigen, selbstbewussten Art fühlt man sich aufgehoben und beschützt. Bei mir löst er irgendwie Vatergefühle aus. Er ist elegant, hat eine sanfte Stimme, ist kultiviert und natürlich reich. Das ganze Narrativ würde in sich zusammenfallen, wenn Edward nicht gut aussehend und wohlhabend wäre. Erinnert ihr euch noch an den Steve-Boschimi-Test aus der Folge über Ted Lasso? Stellt euch vor, Edward würde so aussehen wie Steve Buschimi. Würden wir sein Verhalten dann romantisch finden oder eher alarmierend? Bei genauerer Betrachtung ist er eigentlich gar nicht so ein Traumtyp. Er ist irgendwie steif, er ist ein Workaholic, er hat keinen Humor und Mansplain die ganze Zeit. Und nicht so zappeln. Nicht so zappeln. Okay, nicht so rumzappeln. Wenn du nicht so herumzappelst, siehst du wunderschön aus und geheimnisvoll. Warum finden wir das Part trotzdem romantisch? Um zu verstehen, warum Edward als Männlichkeitsideal funktioniert, müssen wir uns seinen Gegenpart anschauen. In Edwards wieseligen Geschäftspartner Philip Stucky bekommen wir die Antipode zum Männlichkeitsideal zu sehen. Stucky ist natürlich klein, untersetzt und leidet unter schütterem Haar. Aber vor allen Dingen ist er verdorben. Wir verachten ihn dafür, wie er mit Vivian umgeht, aber vor allem dafür, dass er gierig ist, eifersüchtig und skrupellos. Gegen Stucky wirkt jedermann wie ein Traumtyp, der das bare minimum erfüllt, einfach kein Arschloch zu sein oder kein Macho zu sein. Edwards besonderer Charme besteht also darin, dass er Vivian nicht abwertend behandelt. Er spricht immer mit ihr wie einer Geschäftspartnerin. Wenn Sie keine anderweitigen Verpflichtungen haben, dann machen Sie mir doch die Freude und begleiten mich ins Hotel. Was irgendwie ein bisschen unbeholfen, aber auch super süß rüberkommt. Er bestellt ihr ein opulentes Frühstück, er lässt sie am nächsten Tag noch im Hotel chillaxen und so weiter. Er ist ein Gentleman. Aber warte mal, ist Edward nicht genauso gierig und skrupellos wie Stucky? Immerhin ist es sein Unternehmen, das andere Firmen zerschlägt und nichts produziert außer Geld. Aber Edward zweifelt. Weißt du, was für mich als Kind am aufregendsten war? Oh, Klötze. Ich hab viel lieber Monopoly gespielt. Wie kommt man schnell an viel Geld? Worauf willst du hinaus? Unsere Firma baut nichts viel. Wir produzieren nichts. Wir machen Geld. Er ist also ein Businessman mit Gewissen. Edward steht für einen bereits progressiveren Männlichkeitsbegriff, der in den 90er Jahren aufkommt. Er spiegelt eine Mischung aus traditionellen Rollenbildern, die Stärke und Durchsetzungsfähigkeit betonten, und einem aufkommenden Interesse an Emotionalität und Sensibilität. Vergleichen wir mal. Während sich die Helden der 80er Jahre in Filmen wie Blade Runner, Conan der Barbar, Top Gun, Stirb langsam oder Wall Street durch eine kühle, unerschütterliche und stark körperliche Männlichkeit durchkämpften, führen Filme wie Club der Toten Dichter, Der mit dem Wolf tanzt, Ghost, Nachricht von Sam, Forrest Gump oder Good Will Hunting ein weicheres Bild von Männlichkeit ein und begann eine differenziertere, emotionalere und manchmal sogar verletzliche Männlichkeit zuzulassen. Für den Satz, ich war furchtbar wütend auf ihn, hat mir mein Therapeut 10.000 Dollar abgenommen. Das kann ich doch schon sehr gut, oder? Guten Tag, mein Name ist Edward Lewis, ich bin furchtbar wütend auf meinen Vater. Edwards' Daddy-Issues, seine Höhenangst und seine zaghafte Kapitalismuskritik lassen uns über allerhand Red Flags in seinem Verhalten hinwegsehen. Und das väterliche Gefühl, das sich bei mir breitmacht, kommt sicherlich nicht nur durch sein selbstsicheres Auftreten, sondern auch durch den krassen Altersunterschied zustande. Als Pretty Woman in die Kinos kam bei Joey Roberts 22, Richard Gere war 40 Jahre alt. Der Altersunterschied wird noch unterstrichen durch Vivians kindliches Verhalten im Kontrast zum älteren, gebildeten und kultivierten Edward. Er spielt klassische Musik am Piano und er nimmt sie mit in die Oper. Er sucht ihr neue, anständige Kleidung aus und zeigt ihr die Regeln der feinen Gesellschaft auf dem Polofeld oder beim Menü im Nobelrestaurant. Es ist herrlich. Er kann ihr die Welt erklären und sie nimmt es dankend an wie ein gelehriges Schulmädchen. Es entsteht zwischen ihnen keine peinliche Atmosphäre, wenn sie das Opernglas nicht aufgeklappt kriegt oder wenn sie die Schneckengabel nicht zu benutzen weiß. Sie ergänzen sich einfach perfekt. Wie Komplimentäre fühlen sie sich offenbar wohl in ihren Rollen. Er, der Fels in der Brandung, sie zappelt. Er, der Ernste, sie die Lebendige. Er, der Dominante, sie die Unterlegene. Jane Caputi zitiert die Literaturkritikerin Daphne Merkin, die in einem Artikel des New York Times Magazine schrieb, Man müsse Pretty Woman als eine Verdichtung einer beständigen weiblichen Fantasie von sexueller Unterwerfung und emotionaler Dominanz erkennen. Zitat Ende. In Pretty Woman wurde also das ideale Rezept gefunden, wie weibliche Unterlegenheit romantisiert werden kann. Nämlich indem der Protagonistin emotionale Dominanz zugesprochen wird. Denn wer wird hier eigentlich gerettet? 7. Das Happy End – Ritter in glänzender Rüstung Worin besteht eigentlich das Happy End? Die beiden trennen sich im Streit, als Edward Vivian anbietet, als seine Lebensgefährtin in einem seiner Apartments zu leben. Sie fühlt sich gekauft und austauschbar, als solle sie nun, wie seine vorherigen Partnerinnen, auf ihn warten in einem schicken Zuhause, aber mit keinerlei Ansprüchen und in kompletter Abhängigkeit. Komisch, genau das hat sie doch die ganze Woche lang gemacht. Okay, Vivian glaubt trotzdem an eine romantische Zukunft ohne Bezahlung. Und ich kann mich nicht erinnern, dass der Ritter gesagt hat, hör mal, Baby, ich habe eine schicke Wohnung und ein Auto für dich. Ich kann dich verstehen, aber zu mehr habe ich einfach nicht den Mut. Ja, ich weiß. Für jemand wie mich war das schon ein tolles Angebot. Ich habe dich nie wie eine Prostituierte behandelt. Gerade hast du es getan. Klar, sie will Romantik, Liebe, Zweisamkeit. Sie will kein ökonomisches Agreement. Sie ist ja keine gierige Schlampe, sondern eine Prinzessin. Besteht die Romantik des Films vielleicht genau in der vermeintlichen Überwindung der Unterschiede von Klasse, Alter und Macht, weil sie sich gegenseitig retten? Weil Edward nun die Stufen ihrer Feuerleiter emporsteigt und sich auf Augenhöhe mit ihr begibt? Ja, das ist sicher das, was wir glauben sollen. Und was passiert, nachdem der Prinz die Prinzessin aus dem Turm gerettet hat? Die Prinzessin rettet daraufhin sein Leben. Aber was passiert nach dem Happy End? Wird Edward seine Arbeit zurückfahren und sich auf eine echte emotionale Bindung mit ihr einlassen? Ist Vivian hier die eigentliche Heldin? Hat sich die Cinderella-Story umgedreht und ist deswegen so anziehend für viele weibliche Fans gewesen? Jane Caputi sieht das anders. Die Vorstellung, dass eine Frau als Retterin eines bestimmten Typs des Bad Boys dienen kann, ist eine allzu häufige Realität, schreibt sie. Tatsächlich liegt der Reiz des Bad Boys für viele Frauen in einer berauschenden Kombination aus der Dynamik von erotisierter Dominanz und Unterwerfung sowie dem Ausleben ihrer eigenen großen Sehnsucht. In ihrer narzisstischen Illusion ist sie so besonders und demnach so einzigartig, dass der unzähmbare Bad Boy sich unsterblich in sie verliebt und all seine verwerflichen Verhaltensweisen ändert. Zitat Ende. Frauen stehen also auf Bad Boys, weil sie in Wahrheit gar keine Arschlöcher sind, sondern ihr wahrer, weicher Kern nur durch die Kraft der wahren Liebe freigelegt werden kann. Und dafür braucht es natürlich eine ganz besondere Frau. Und die will ja nun mal jede von uns sein, oder? Jane Caputi sieht die Erzähltradition vom Bad Boy, der gerettet werden muss, in dem Märchen Die Schöne und das Biest. Und wir sehen diese Konstellation erstaunlich oft. Männer sind keine Monster, weil sie trinken, abwesend oder ignorant sind, weil sie eifersüchtig sind, gewalttätig oder kriminell. Sie sind geschundene Seelen, die gerettet werden müssen, mit selbstloser Liebe, mit Verständnis und Unterstützung. Jetzt denkt mal darüber nach, wie viele Filme kennt ihr, in denen Frauen als Trinkerin, Depressive, psychisch Kranke, als Mörderin oder auch nur als schlechte Mütter dargestellt werden, die dann durch die Liebe eines Mannes gerettet werden. Frauen werden aus misslichen Lagen befreit, wenn sie weiß, jung, schlank und unschuldig sind. Aber sie werden nicht emotional aufgefangen, dafür gibt es kein Narrativ. Mona Cholet beschreibt dieses Phänomen in Wir müssen die Liebe neu erfinden so. Die Vorrangstellung der Gefühle aller Männer, dieser Reflex, sich mit ihnen zu identifizieren, mit ihrem Erleben, mit ihren Interessen, dieser Erwartungshaltung, dass es zur Rolle der Frau gehöre, alles zu verstehen und zu verzeihen, all dies wurde von uns grundlegend verinnerlicht. Die australische Philosophin Kate Mann hat für das Phänomen den Begriff Hympathy geprägt, eine Wortschöpfung aus him, also ihn oder ihm, und Sympathy, Sympathie oder Mitgefühl. Hympathy ist also ein Ausdruck für die Tatsache, dass Männer einen Sympathievorschuss erhalten. Jane Caputi prophezeit kein Happy End für Vivian, sondern die Fortsetzung des Machtverhältnisses. Sie sieht der Feind in meinem Bett als die wahre Forterzählung von Pretty Woman. Edwards besitzergreifende, stellenweise eifersüchtiges Verhalten, seine Kontrollneurose oder sein dominantes Auftreten, sein Anspruchsdenken könnten genauso gut als Hinweise auf missbräuchliches Verhalten gelesen werden. Edward kontrolliert alles. Er entscheidet, wann er Sex will, wann er reden will, wann er seine Ruhe braucht, wann er nach Hause kommt und was sie anzieht. Am ersten Abend wartet Vivian auf Edward, der an der Bar Piano spielt. Warum wartet sie eigentlich? Weil sie dafür bezahlt wird oder weil sie ihn begehrt? Ich habe mich da oben so einsam gefühlt. Gentlemen, würden Sie uns bitte allein lassen? Machen die Leute immer alles, was du von ihnen verlangst? Ja, sie tun es. Am zweiten Abend wartet sie nackt, nur mit einer Krawatte bekleidet, am gedeckten Tisch darauf, dass Edward aus dem Büro kommt. Wie lange saß sie da? Und was, wenn er gerade nicht in Stimmung ist? Dann hat sie auch kein Recht, enttäuscht zu sein, weil sie ja ein Profi ist und dafür bezahlt wird, ihre Gefühle auszuschalten. Außer beim Sex, da sollte sie sich schon hingeben. Wenn ich mit einem schlafe, dann bin ich wie ein Roboter, ich tue es. Vielleicht nicht immer, das ist mit dir anders. Sowas erwarte ich auch. Ah, es ist verwirrend. Am dritten Tag outet sie Edward beim Poloturnier und bringt sie damit in eine unangenehme Lage. Glaubst du, du bist mir ein Zuhälter? Willst du mich an deinen besten Freund weiterreichen? Ich bin nicht dein Spielzeug. Ich hasse es, die Dinge so beim Namen zu nennen, aber du bist tatsächlich eine Nutte und du bist meine Angestellte. Aber ich bin nicht dein Eigentum. Ich entscheide. Ich sage wer, ich sage wann, ich sage wo. Ich will mich nicht in den nächsten drei Tagen nur noch mit dir streiten. Ich habe mich entschuldigt und das habe ich auch so gemeint. Das wäre alles. Sie will gehen. Es gelingt ihm, sie aufzuhalten. Es gibt offenbar Versöhnungssex. Der Status quo ist wiederhergestellt. Obwohl Edward eigentlich zu seiner Entschuldigung nicht mehr anbrachte, als eifersüchtig gewesen zu sein. Ah, Eifersucht wird uns hier natürlich als ein Ausdruck von Liebe präsentiert. Und ja, es waren die Nineties. Aber sie hat doch gar nichts gemacht, außer den Verhandlungspartner bei einem öffentlichen Event zu begrüßen. Wäre es nicht irgendwie der größere Liebesbeweis, der anderen Person zu vertrauen? Und er war ja nicht nur eifersüchtig. Er hat sie ja aus seiner Eifersucht heraus gedemütigt und auch in eine unsichere Lage gebracht. Ich hoffe wirklich für Vivian, dass das nur ein harmloser Ausrutscher war. Denn auch der fiese, gewalttätige Ehemann aus Der Feind in meinem Bett war nicht immer so. Gleich nach den Flitterwochen ging es los. Erst war er so zärtlich und liebevoll. Aber dann, er hat gesagt, wenn sie weggeht von ihm, dann wird er sie bestrafen, furchtbar bestrafen. Er war unberechenbar. Achtens. Und jetzt noch was zum Cover. Edward und Vivian stehen Rücken an Rücken. Sie in ihrem ikonisch freizügigen Outfit, er im Dressmentsanzug. Sie zieht kokett an seiner Krawatte, hält ihn quasi an der Leine. Er lächelt so fiesant, wie nur Richard Gere es kann. So als würde er sagen wollen, na, den Spaß mache ich aber mit, weil sie so ein charmantes Mädel ist. Aber sein Blick ist auch selbstsicher. Er weiß, er könnte jederzeit die Kontrolle zurückgewinnen. Vertauschte Rollen könnte man denken. Ist es nicht sonst die Frau, die sich erobern lässt? Das Cover zeigt bereits die Machtdynamik, die im Film mal witzig, mal sexy, mal dramatisch durchgespielt wird. Und am Ende bleibt eine einfache Moral. Wie angelt man sich einen Millionär? Oscar Wilde soll mal gesagt haben, alles auf der Welt dreht sich um Sex. Außer Sex. Beim Sex geht's um Macht. Aber aus weiblicher Perspektive könnte man auch abkürzen und sagen, alles auf der Welt dreht sich um Macht. Ich glaube, der Film hat wirklich versucht, dieses Machtgefälle aufzugreifen und eine Romantik entstehen zu lassen, indem er die ungleichen Figuren auf Augenhöhe bringen wollte. Zwischen ihnen entsteht eine Intimität, eine gegenseitige Anziehung, der Wunsch, sich fallen zu lassen und nicht mehr einsam zu sein. Es gibt nur ein Problem. Okay, Vivian mag scheinbar eine starke und eigenständige Frau sein, aber ihre Sexualität wird im Film nicht aus ihrer eigenen Perspektive erzählt. Stattdessen erleben wir sie durch Edwards Augen und durch die Linse einer männlich dominierten Erzählweise. Sie ist begehrenswert, weil er sie begehrt. Ihre Lust, ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, all das bleibt weitgehend im Hintergrund. Wir akzeptieren einfach, wie Laurie Penny es in ihrem Buch Fleischmarkt schreibt, fragmentierte Teile des Körpers als Symbole einer Sexualität, zu der die Frauen selbst keinen Zugang haben. Pretty Woman verkauft uns die Illusion einer emanzipierten Heldin, während sie uns gleichzeitig in der altbekannten Perspektive des Male Gays gefangen hält. Einer Perspektive, in der Frauen ihre eigene Sexualität nicht wirklich besitzen. Jo Leute, wenn euch der Podcast gefällt, dann freue ich mich sehr, wenn ihr euren FreundInnen davon erzählt. Ich freue mich sehr über Sternchen und Kommentare bei Spotify.
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00:44:10

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